Test: Avid Carbon

Die Corona-Pandemie hatte starke Auswirkungen auf den Audio- und Musikmarkt. Während es zahlreiche und schlimme Probleme gab und gibt, wie zum Beispiel den Zusammenbruch des Live-Bereichs oder katastrophale Lieferschwierigkeiten aufgrund von Bauteilmangel, ging es für den großen Bereich des Musizierens und Produzierens in den eigenen vier Wänden absolut durch die Decke. Davon konnten vor allem leicht zu verstehende und kompakte Produkte profitieren, während es für große Systeme, die vielleicht einen gewissen Erklärungsbedarf erfordern, oftmals nicht so gut lief. Es fehlt vielleicht das ‚Anfassen und Verstehen‘, welches sonst auf Messe und in Musikgeschäften absolut selbstverständlich war. So kam es, dass Avid seine brandneues Produkt Carbon zwar schon im November des Jahres 2020 veröffentlichte, es aber fast ein bisschen unterging, ein Problem, das sich für andere Produkte des Herstellers bisher noch nicht gestellt hatte. Dabei ist Carbon eine wirklich neue und spannende Entwicklung, deren Konzept der sogenannten ‚Hybrid Engine‘ fast eine kleine Revolution für Pro Tools-Anwender darstellt. Wir haben uns daher entschlossen, Carbon einem sehr genauen Test zu unterziehen und zu schauen, was die Hybrid Engine wirklich bieten kann. Mit Carbon bekommt die Antwort auf die Frage nach ‚Nativ oder mit DSP‘ nämlich eine gänzlich neue Antwort hinzu.

Die Marktmacht von Avids Pro Tools findet ihren Ursprung in der Einführung von Pro Tools TDM, einem leistungsfähigen DSP-System, welches bereits in den 1990er Jahren den großen Vorteil bot, dass Dritthersteller ihre eigenen Entwicklungen auf den Prozessoren des Herstellers (damals noch Digidesign) laufen lassen konnten. So entstand kein geschlossenes, sondern ein kontrolliert offenes Ökosystem. Das Konzept der DSP-Plattform innerhalb eines PCs wies zwei große Vorteile auf. Erstens war die Leistungsfähigkeit der PC- und Mac-Prozessoren jener Generationen noch sehr begrenzt, so dass reine Softwarelösungen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kamen. Zum anderen waren weder die Komponenten, noch die Betriebssysteme zu dieser Zeit wirklich echtzeitfähig, so dass man mit katastrophal hohen Latenzen kämpfen und oftmals frustriert aufgeben musste. Pro Tools TDM löste dieses Problem dadurch, dass alle Echtzeitprozesse auf eigenen Signalprozessoren gerechnet wurden und der Computer selbst nur die Umgebung aus Betriebssystem, Grafik und Eingabe lieferte. Damit war Pro Tools leistungsfähig und robust und wurde für viele Anwender, die es sich leisten konnten oder vom Munde abgespart hatten, der Schlüssel zum Einstieg in den Profibereich. Aus Pro Tools TDM entstand die Weiterentwicklung Pro Tools HD, mit neuen Prozessoren und mehr Leistung. Mit der Generation Pro Tools HDX wurde das Konzept des reinen DSP-Systems schließlich geöffnet und es gab die Möglichkeit, die (weitestgehend) gleiche Software (schon vorher gab es rein native Varianten des Programms, die jedoch in ihrem Funktionsumfang zum Teil stark eingeschränkt waren) auch ohne DSPs zu nutzen. Seitdem wechselte das Konzept regelmäßig, mal wurden rein native Ansätze stärker verfolgt, mal wieder die DSP-Front gestärkt. Inzwischen scheint sich Pro Tools wieder in etwas ruhigeren Fahrwassern zu befinden und die Zweigleisigkeit von DSP und nativer CPU wird gleichermaßen gepflegt. Mit Avid Carbon bekommt Pro Tools nun eine neue Variante hinzu, die eine Verbindung zwischen beiden Ansätzen darstellt und für viele Anwender mittelgroßer Systeme scheinbar eine ideale Lösung darstellt. Das Ganze steht unter dem Schlagwort ‚Hybrid Engine‘. Bevor wir sie uns genau ansehen, werfen wir aber zunächst einen Blick auf die Hardware und Rahmenbedingungen des Produkts.