Mulann 'Recording The Masters'

Der Markt für Schallplatten ist in den letzten Jahren in die Höhe geschossen. Dahinter steht sicher in gewissem Maße die Überforderung der Menschen durch die digitale Welt. Man braucht etwas, dass einem das persönliche Bedürfnis nach Kunst- und Kulturgenuss befriedigt und dabei seinen (emotionalen) Wert nicht durch permanente und unbeschränkte Verfügbarkeit gefährdet. Nahezu jeder Song ist heute aus dem Smartphone brüllend sogar auf dem Klo abrufbar. Wer kann es dem Konsumenten da verübeln, wenn er seine Erfüllung in einem völlig veralteten Medium sucht und dessen Beschränkungen in gewisser Weise zum eigenen Vorteil nutzt. Ähnlich geht es doch vielen von uns Tonschaffenden. Jeden Tag vor dem Computer, jeden Tag an Plug-Ins schrauben, jeden Tag mit einem Mausklick zur Perfektion. Auch hier ist die Suche nach Imperfektion und Charakter fast schon zum Selbstschutzmechanismus geworden. Was die schwarze Scheibe für den Konsumenten ist, ist für einige von uns das Tonband. Der besondere Klang ist auch hier nur ein, wenn auch natürlich ein wichtiger, Aspekt. Die Beschränkungen des Mediums geben uns in gewisser Weise auch Sicherheit. Gegenüber uns, denn das Band verzeiht viel mehr Fehler als der A/D-Wandler, aber auch gegenüber dem Kunden, denn 97 Overdubs der letzten Silbe des zweiten Refrains sind schlicht nicht möglich – 'lebt damit!' Doch die Tatsache, dass wir auch heute noch auf Band aufnehmen können, ist keine Selbstverständlichkeit.

Es gibt zwar keine neuen (professionellen) Bandmaschinen mehr zu kaufen, aber die Bestände an Ersatzteilen sind für die meisten Typen der ehemals großen Hersteller noch für längere Zeit gesichert. Anders sieht es mit dem Verbrauchsmaterial aus. Vor rund zehn Jahren war kurzzeitig weltweit keine Tonbandproduktion mehr in Betrieb und für einen Moment schien das Ende einer Ära greifbar nahe. Glücklicherweise konnten sich zwei Produktionsstraßen behaupten und so gibt es derzeit in den Vereinigten Staaten ATR Magnetics und in Europa Recording The Masters. Letztere steht in der Tradition von BASF und AGFA (in den 1990er Jahren aufgegangen in die BASF-Bandherstellung), die ihre Produktion bis spätestens 2003/2004, mit der Insolvenz von Emtec, aufgegeben haben. Die Originalmaschinen von BASF wechselten seitdem viermal ihren Besitzer. Zunächst mit der Übergabe der Magnetbandsparte von BASF an Emtec. Nach deren Insolvenz übernahm die Niederländische Recording Media Group International (RMGI) die komplette Produktionsstraße und verlegte sie von München in ein eigenes Werk in Oosterhout. Als RMGI in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, bot der französische Hersteller Pyral an, die Produktion in die Normandie zu verlegen. Die schließlich folgende Übernahme durch Pyral beendete das Kapitel RMGI, die seit April 2012 nicht mehr existiert. Doch die Verlegung der Produktion nach Frankreich verlief alles andere als reibungslos. Pyral hatte Schwierigkeiten, die Produktion stabil zu halten und musste mit überdurchschnittlich hohem Ausschuss und Qualitätsproblemen kämpfen. Anwender begannen zu diesem Zeitpunkt, sich über intakte und fehlerhafte Chargen auszutauschen, die Zahl der Reklamationen ging in die Höhe. Gerettet wurde die europäische Tonbandproduktion durch eine abermalige Übernahme. Der ebenfalls aus Frankreich stammende Hersteller Mulann kaufte Pyral aus der Insolvenz heraus auf und zeigte großes Interesse am gesamten Portfolio. Dies schloss die Tonbandherstellung ein. Dies ist nicht selbstverständlich, denn schließlich war das Tonband mitverantwortlich für die Insolvenz von Pyral. Ein Abstoßen oder gänzliches Einstellen der Tonbandproduktion war zu diesem Zeitpunkt durchaus denkbar. Denn obwohl Tonbänder für uns sehr wichtig sind, sind sie für ein großes Unternehmen in der Magnetspeichertechnik doch nur ein sehr kleiner Teilaspekt. Der neue Eigentümer Mulann vertreibt seine tontechnischen Produkte unter dem Label ‚Recording The Masters‘. Das Portfolio umfasst Tonbänder für den professionellen und semi-professionellen Einsatz. Die Produktionsstätte liegt in der Normandie, nicht weit entfernt vom Ärmelkanal und sozusagen in Sichtweite zur berühmten Abtei Mont-Saint-Michel. Ein historischer Ort, an dem der Hersteller nun historische Produkte mit historischen Maschinen herstellt. Ob dies eine Zukunft hat, wollten wir vom Firmeneigner und Geschäftsführer Jean-Luc Renou persönlich wissen.