Hörtest: Mikrofontest 22

Aus aktuellem Anlass, der sich gleich noch offenbaren wird, kreisten meine Gedanken im Vorfeld unseres Mikrofontests um die Geschichte der Mikrofontechnik und um die Frage, warum historische Mikrofone das Auge des Tonmeisters zum Leuchten bringen, sein Ohr so sehr erfreuen und er obendrein bereit ist, den Gegenwert eines gut ausgestatteten Kleinwagens auf den Tisch zu legen, um ein Original in seinen Besitz zu bringen. Überhaupt – warum ist der Klang aus den 50er oder 60er Jahren so viel erstrebenswerter als der eines neuzeitlichen Mikrofons mit hervorragenden Übertragungsdaten und unverfälschter Abbildung? Ist es ein Zufall, dass die einschlägigen Mikrofonklassiker dem Originalsignal genau die Portion an Charakter aufprägen, die es scheinbar braucht, um ungleich aufregender zu klingen? Der Amerikaner hat für diesen Fall die Redewendung ‚Larger than Life‘ parat, annähernd treffend mit ‚besser als in Wirklichkeit‘ übersetzt. Ob das eine schlüssige Erklärung sein kann, weiß ich nicht, aber ich beobachte seit vielen Jahren große Anstrengungen der modernen Technologie, so ‚wie früher‘ zu klingen, auszusehen und letztlich zu sein, denn die ‚Moderne‘ scheint kein Botenstoffe für einen reizvollen Klang auszusenden, der uns hinhören und emotional werden lässt.

Amüsanterweise hat der ‚Charakter‘ eines Mikrofons auch mit technologischem Unvermögen einer Epoche zu tun, so dass man vielleicht unverfälschter gewollt hätte, aber nicht konnte. Wie gut, dass es so war, denn sonst hätte es all die wunderbaren Mikrofonschätze gar nicht gegeben. Heute geht vieles bis zur Perfektion, was uns leider auch, vielleicht sogar unfreiwillig, langweilige Sterilität beschert, die man durch allerlei Schnickschnack nachträglich wieder aufzuheben versucht, denn sonst fänden analoge Boutique-Geräte und sogar deren digitale Emulationen heute bestimmt keinen Absatz.