Hintergrund: Einfluss der Tonhöhenkorrektur

Für sein Buch ‚Perfecting Sound Forever‘ interviewte Greg Milner die legendären, mehrfach mit Platin ausgezeichneten und Grammy-preisgekrönten Toningenieur-Brüder Chris und Tom Lord-Alge, zur ‚perfekten‘ Tonhöhe in der aktuellen Popmusik: ‚Autotune hat ebenso viel dafür getan den Sound der Popmusik zu verändern, wie Pro Tools. Heute wird es auf ‚so ziemlich jeder fuckin' Platte eingesetzt‘, sagt Tom Lord-Alge. Der Autor Simon Reynolds schätzt die Verbreitung einer Gesamttonhöhenkorrektur in der Popmusik ähnlich hoch ein: ‚Es besteht die Möglichkeit, dass jede Stimme, die Sie heute im Radio hören, ein Kunstprodukt.  ist, das einer komplexen Reihe von Prozessen ausgesetzt wurde‘. Die Erkenntnisse des auf Vocals spezialisierten Produzenten Chris O'Ryan unterstreichen die obigen Aussagen. O'Ryan arbeitet mit Star-Künstlern wie Katy Perry, Mary J Blige und Justin Bieber zusammen. Reynolds berichtet über O'Ryans Arbeitsablauf: ‚im Extremfall dauern die Aufnahmen des Sängers nur drei oder vier Stunden und dann wird zwei bis vier Tage in Melodyne daran gearbeitet‘. Diese oft geäußerten Aussagen über eine möglicherweise fast hundertprozentige Durchdringung mit tonhöhenkorrigierten Vocals in der heutigen Popmusik können nicht bewiesen werden. Solche quantitativen Untersuchungen wären für Audio-Profis sowieso keine wirkliche Hilfe. Ein Mehrwert für Musikproduzenten ergibt sich stattdessen, wenn aus empirisch gesammelten Wahrnehmungen der Hörer Schlussfolgerungen gezogen werden können, inwieweit diese bereits an Vocals mit perfekter Tonhöhe gewöhnt sind. Daraus können sich wertvolle Hinweise ergeben, ob und in welcher Intensität die Manipulation der Tonhöhe sinnvoll ist. In ihrer Arbeit ‚Autotune, Labor, and the Pop-Music-Voice’ reflektiert Catherine Provenzano über die Macht, die Musikproduzenten heutzutage über die intimste Kunst ihres Kunden ausüben – die Präsentation ihrer Stimme: ‚Die Art zuzuhören, welche durch die mit Autotune manipulierten Versionen gefördert wird, führt […] zu einem Verstummen, einem Schweigen von dem, was einmal gehört wurde und hörbar war, zugunsten dessen, von dem vermutet wird, dass es der Hörer hören möchte. Aber was ist es wirklich, dass der Hörer nach zwanzig Jahren Tonhöhenkorrektur-Penetration heute hören will? Die folgende Studie untersucht dies und fragt, ob softwarebasierte Tonhöhenkorrektur von Gesang in der Popmusik die Ästhetik, Wahrnehmung und Erwartungen der Hörer so grundlegend verändert hat, dass sie jetzt für Produzenten obligatorisch geworden ist?