Testbericht: SPL BiG

Stereo ist ja ein wirklich spannendes und, wie ich finde, auch sehr effizientes Format. Die Tiefen-, Breiten-, Distanz-, Räumlichkeits- und Richtungs-Illusion, die mithilfe von nur zwei Kanälen hergestellt werden kann, ist wirklich beeindruckend, aber wir haben uns wohl über viele Jahre daran gewöhnt und vielleicht auch verlernt, dieses einzigartige Hörphänomen wertzuschätzen. Eine der Hauptaufgaben beim Aufnehmen, Mischen und Mastern ist dennoch, wie eindrucksvoll man diese Stereobühne inszenieren und mit welchen Hilfsmitteln man die Illusion vielleicht noch verstärken kann. Dazu erinnern wir uns beispielsweise an eine schon annähernd 90 Jahre alte Mikrofonierungstechnik, die ein gewisser Herr Blumlein anno 1934 entwickelte und die besonders heute als abgeleitetes stereophones Signalkodierungsverfahren unseren Werkzeugschrank bereichert. Die Stereobühne wird bei der M/S-Stereophonie (Mitten- und Seitensignal) bekanntermaßen nicht als linker und rechter Kanal, sondern als Summen- (L plus R) und Differenzsignal (L minus R) beschrieben. Ein M/S-Prozessor ist unser Testkandidat BiG jedoch nicht, denn es fehlen die typischen Parameter. BiG ist anders, BiG ist ein Stück weit undurchschaubar und ich werde, das weiß ich jetzt schon, einige Mühe haben, das Gehörte verständlich zu beschreiben.

Wir müssen hier nicht näher auf Details eingehen, sondern beschränken uns darauf, dass sowohl auf der analogen als auch der digitalen Ebene die M/S-Bearbeitung als eine Art ‚Zaubertrank‘ zur Manipulation des Stereoeindrucks betrachtet wird, denn man kann natürlich nicht nur den Pegel von M und S variieren, sondern die beiden Kanäle gesondert bearbeiten und dadurch (vielleicht) in geheimnisvolle Sphären des Stereosignals vordringen. Nun ist es ein weitgehender Irrtum, dass der M-Kanal nur die Signalanteile beinhaltet, die der Stereo-Phantommitte zugeordnet sind. Es handelt sich schließlich um ein monosummiertes Signal des gesamten Programms, also auch der S-Anteile. Der S-Kanal hingegen schließt durch die Differenzbildung alle kanalgleichen Signalanteile (also die Phantommitte) aus, die sich der Theorie folgend komplett auslöschen. Die Präzision der digitalen Signalübertragung macht eigentlich erst eine komplett verlustfreie Kodierung von L/R zu M/S und zurück zu L/R möglich. Im Vergleich dazu konnte man nur mit erheblichem Schaltungsaufwand diesen Kodierungsvorgang gleichermaßen verlustfrei analog umsetzen. Ein bisschen Schwund bleibt allerdings trotzdem, aufgrund der wunderbaren Imperfektion der Analogtechnik. Wenn wir uns mit M/S in den Effektbereich begeben, was ja eigentlich der heute spannende Aspekt der M/S-Bearbeitung ist, sind ‚Verluste‘ oder ‚Verfärbungen‘ ja sogar ausdrücklich erwünscht, denn man will ja in Galaxien vordringen, die nie ein Mensch zuvor gehört hat (freche Abwandlung des Star Trek Zitates). Unser Testkandidat BiG, eine Schöpfung des SPL-Mitinhabers und Chefentwicklers Wolfgang Neumann, hat nichts, aber eben irgendwie doch, mit der M/S-Bearbeitung zu tun. Jedenfalls beinhaltet das neue Gerät, momentan nur in Gestalt eines 500er Moduls verfügbar, keine simple M/S-Topologie, sondern ist deutlich komplexer aufgebaut, wenngleich die wenigen Bedienelemente einen anderen Eindruck hinterlassen. BiG ist eines dieser Geräte, die nicht am Reißbrett entstehen können. Es ist eine Kombination aus Idee und Versuch, aus Experiment und spontanem Einfall direkt aus der Mastering-Praxis – keine gezielte Erfindung, keine geplante Entwicklung, sondern wirklich eine Schöpfung, auch wenn das etwas pathetisch klingen mag, deren Entstehungsgeschichte im Nachhinein nicht mehr ganz genau erklärt werden kann, wenn der mehrfach verworfene Prototyp nach vielen Hörversuchen schließlich als Vorlage für ein Seriengerät geeignet erscheint. BiG hat aber auch noch einen historischen Hintergrund, der bis auf das Jahr 1989 zurückgeht, als erste Ideen für eine technische Manipulation der Stereobühne aufkamen, die allerdings seinerzeit noch sehr kritisch betrachtet wurden, denn es gab immer noch einen beträchtlichen Anteil von Schallplatten, die diese Art der Signalbearbeitung aus bekannten Gründen so gar nicht mochten. SPL, namentlich Wolfgang Neumann, hatte in dieser Zeit erste Kontakte zu Bob Ludwig, der sich sehr für dieses Thema interessierte und danach fragte, eine derartige Funktion in ein SPL-Gerät einzubauen, dass er gekauft hatte. So landete 1989 eine unveröffentlichte Stereo-Erweiterungsschaltung von Wolfgang Neumann in einem modifizierten SPL-Seriengerät. Diese Schaltung ist bis heute bei Gateway Mastering im Einsatz. Zwischenzeitlich ist die, im weitesten Sinne, M/S-Manipulation nicht nur im Mastering-Bereich populär, so dass die ursprüngliche Idee in einem aktuellen Gerät nochmals Verwendung finden sollte. Der wesentliche Unterschied zwischen der Bob-Ludwig-Schaltung und BiG ist die nun variierbare Filterstruktur und natürlich auch die zeitgemäße technische Umsetzung. Basis der Schaltungsidee ist die Verwendung von State Variable Filtern oder deutsch Zustandsvariablenfilter, eine Art Multi-Feedback-Filterschaltung, die alle drei Filterzustände, Tiefpass, Hochpass und Bandpass, gleichzeitig aus einem einzigen aktiven Filterdesign erzeugen kann. Die drei Hauptparameter Verstärkung, Frequenz und Güte können unabhängig voneinander eingestellt werden, ohne die Filterleistung zu beeinflussen. Zustandsvariable Bandpassfilter, auf denen hier ein besonderes Augenmerk liegt, haben den Vorteil, dass sie hochselektiv, also mit hoher Güte abgestimmt werden können und/oder hohe Verstärkungen am Mittenfrequenzpunkt bieten. Die Schaltung wurde für das BiG-Konzept so weit verändert, dass die beiden als ‚Range‘ und ‚Stage‘ bezeichneten Parameter die Phase abhängig von der eingestellten Frequenz variabel beeinflussen. Prinzipiell bildet die Schaltung ein eigenes Differenzsignal aus L minus R, das anschließend in das Filternetzwerk geleitet und dem Originalsignal danach wieder regelbar zugemischt wird. Dadurch entstehen nach meinem Verständnis praktisch zwei sich überlagernde S-Signale, das Originale und das neue, über die Filternetzwerk generierte als Zumischung zum Originalsignal. Wie man leicht feststellen kann, bleibt das M-Signal in diesem Prozess völlig unangetastet. Trotzdem ist eine Mono-Kompatibilität vollständig gewährleistet, unabhängig von jedweder Einstellung. Wie das nun genau funktioniert, ist mir nicht klar geworden. Der Beweis wird aber im Abschnitt Praxis noch erbracht werden. BiG ist nicht nur für die Mischsumme oder das Mastering gemacht, sondern auch für die ‚Stereoisierung‘ von Samples, Schlagzeug und generell in Stereo aufgenommenen Instrumenten. Es muss aber im Original ein Anteil von dekorrellierten Signalanteilen vorhanden sein, da nur so eine Differenzsignalbildung funktioniert. Schauen wir uns doch zunächst die sehr übersichtliche Bedienoberfläche und die Funktionalität dahinter an.