Testbericht: sonible smart:comp 2

Vor ziemlich genau drei Jahren, am 24. Juni 2019, stellte sonible die erste Version seines KI- und Machine-Learning-gestützten smart:comp vor, eines Plug-In-Kompressors ‚mit Köpfchen‘, der uns dank eines kurzen Lernvorgangs nach wenigen Sekunden verwertbare Vorschläge zur Parametrisierung macht und sowohl auf der Zeit- als auch der spektralen Ebene arbeitet. Inzwischen haben wir Anwender uns schon ein wenig daran gewöhnt, dass eine langsam, aber stetig wachsende Zahl unserer Plug-Ins ‚mitdenkt‘, wobei man doch etwas genauer definieren muss, was KI in der Audioproduktion tatsächlich bedeutet. Funktionen wie Auto Release (ein programmadaptives Regelverhalten), EQ-Matching oder ein umfangreiches Preset-Angebot mit anwendungsbezogen deutbaren Bezeichnungen gehören ganz sicher nicht dazu. Im smart:comp 2 arbeitet ein Algorithmus mit umfangreich implantierter ‚Hörerfahrung‘, der unzählige, unterschiedlichste Signalstrukturen erlernt hat, daraufhin auch erkennt, einordnet und in der Folge Einstellparameter findet, die sich in vorbestimmten Zielbereichen bewegen, die der Anwender nach seinen Vorstellungen modifizieren kann. Etwas anders funktioniert das Plug-In auf der spektralen Ebene, denn hier ist kein detaillierter Parametereingriff durch den Anwender vorgesehen. Das Eingangssignal wird durchgängig vor dem Hintergrund der Herstellung einer tonalen Balance überwacht. Eine Kombination aus psychoakustischen Grundlagen und aus der Praxis abgeleiteten, in einer Bibliothek abgelegten Hörmodellen dient dabei als Entscheidungsgrundlage, was erstaunlich gut funktioniert.

Da es mir wenig wahrscheinlich erschien, meinen Test aus 2019 als ‚bekannt‘ voraussetzen zu können, erkunden wir die dem aktuellen Designstil des Herstellers angepasste Bedienoberfläche in vollem Umfang, zumal sich dadurch auch die Logik des gesamten Konzeptes besser erschließt. Bevor wir das tun, möchte ich einige einleitende Sätze zum Thema KI im Studio loswerden. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, wie sehr wir an unserem Arbeitsplatz hängen. Keinesfalls und vor allem wollen wir nicht durch eine ‚Maschine‘ ersetzt werden. Ein bisschen Entlastung, Zeitersparnis oder Konzentrationshilfe sind jedoch durchaus willkommen, denn auch im Prä-Computer-Zeitalter gab es bekanntlich schon denkende Assistenten, die allerdings nicht aus einer Blechkiste heraus agierten, allerdings mitunter den Ehrgeiz hatten, am Stuhlbein ihres Mentors zu sägen. Ich kann verstehen, dass die Begeisterung der Entwickler darüber, was sie ihren neuronalen ‚Geschöpfen‘ alles beibringen können, kaum Grenzen kennt, weshalb ich mir angewöhnt habe, das Thema KI mit einem gewissen Argwohn, zumindest aber mit Aufmerksamkeit zu betrachten, denn vielleicht sind ‚bestimmte‘ Grenzen schneller überschritten, als man es sich vorstellen kann, wenn ‚der Algorithmus‘ uns zu berechenbaren Größen degradiert und beginnt, auf unsere mutmaßlich nächsten Schritte zu spekulieren, die dann als eine Form kreativer Gestaltung umsetz- und vorhersehbar werden. Das Thema ist allerdings viel zu komplex, um es hier tiefgreifend zu erörtern. Ich möchte dennoch das Bewusstsein für diese Entwicklung wachhalten, auch wenn wir es beim smart:comp 2 mit einem sehr leistungsfähigen und ‚freundlichen‘ Werkzeug zu tun haben, dessen Entwickler nichts weiter wollen, als uns bei unserer Arbeit gezielt und praxisorientiert zu helfen, egal, ob wir ‚produzierende Musiker‘ oder gestandene Audioprofis sind. Alle KI-gestützten Plug-Ins von sonible sind mit dem Ziel entwickelt worden, den Anwender zu unterstützen und ihn nicht zum Passagier in seiner eigenen Produktion zu machen, weshalb alle angebotenen Parameter, die der Algorithmus bedient, auch dem Anwender für manuelle Eingriffe zur Verfügung stehen. Im Fall des smart:comp 2 gibt es sogar Parameter, die dem Anwender exklusiv vorbehalten sind, so dass dieser stets das Gefühl hat, intuitiv seine klanglichen Vorstellungen umsetzen zu können, mit Hilfe eines Assistenten, der den Findungsprozess wahlweise erleichtert, beschleunigt oder beides. Natürlich ist es nach ‚moralischen‘ Gesichtspunkten keineswegs verwerflich, dem Einstellvorschlag des Algorithmus‘ einfach zu folgen, was weniger geübte Zeitgenossen sicher auch häufiger und sogar dankbar in Anspruch nehmen werden.