Test: SSL The Bus+

Solid State Logic durchlebte als Unternehmen alle technologischen Entwicklungsschritte, die ziemlich genau den historischen Werdegang der gesamten Studiotechnik seit den 70er Jahren abbilden – vom analogen zum digitalen Großmischpult, über digitale Hardware-Systeme für Aufzeichnung und Signalbearbeitung, die ‚trendige‘ analoge Modultechnik und digitale Controller für Audiosoftware, bis hin zur digitalen Live-Console, zum kompakten Frontendmischer verschiedener Kategorien und letztlich auch zum Standardprodukt für den Homerecording- und semiprofessionellen Einsatz. Wahrscheinlich kann ich einen größeren Teil unserer Leser in Verlegenheit bringen, wenn ich nach SSL Produkten wie Screensound, Scenaria oder OmniMix frage, die aus einer Zeit stammen, in der die professionelle Studiobranche noch glaubte, proprietäre digitale Hardware entwickeln zu müssen, um sich steigenden Anforderungen und dem teilweise atemberaubenden Arbeitsprozesswandel adäquat stellen zu können. Der exzessive Entwicklungsaufwand, der dafür nicht nur von SSL getrieben wurde, und die entsprechend hohen Kosten haben sich wahrscheinlich branchenweit nie amortisiert, denn wer konnte damals ahnen, dass etwas, aus heutiger Sicht, so Alltägliches wie ein Personal Computer zur zentralen Plattform für digitale Audiotechnik werden könnte?

Zu den Kernanstrengungen des nach wie vor im englischen Begbroke nahe Oxford ansässigen Unternehmens gehörte neben der technischen und ergonomischen Innovation aber auch immer der Sound. Vielleicht leitet sich daraus ab, dass eine vergleichsweise einfache Schaltung zum Synonym für den SSL-Klang wurde – der Bus Compressor, der schon in der 1976 vorgestellten SL 4000 B Konsole zu finden war und sämtliche Gerätegenerationen des Herstellers in mehr oder weniger unveränderter Form überlebte. Seinen vorläufigen Höhepunkt findet dieses Konzept in der kürzlich vorgestellten, sehr mächtigen 19-Zoll-Variante, die durch ihren Namen ‚The Bus+‘ gewisse Erwartungen weckt. Jedoch reicht ein einfaches Plus zur Beschreibung des Funktionsumfanges meiner Ansicht nach bei weitem nicht aus. Der Bus+ gehört in die Kategorie von Geräten, die man tatsächlich lernen und für sich erobern muss. Jedes SSL-Mischpult hat einen Bus Compressor – natürlich – der sich in der Folge aber auch als Outboard-Gerät materialisierte, erstmalig 1991 als FX G384, später als Teil der X-Logic-Serie, sogar in einer 5.1-Version. 2007 wurde er Teil des X-Rack-Programms und fand 2013 seinen Weg in das 500er Modulformat. Inzwischen gibt es auch diverse Varianten als digitale Plug-In-Emulation, sogar vom Urheber selbst als SSL Native Bus Compressor 2. Offenbar war diese Erfolgsgeschichte die Inspiration für eine Art ‚Über-Bus-Kompressor‘ mit einem stark erweiterten Parameter-Set und vielen funktionalen Optionen, die sich nicht auf Anhieb, sondern erst nach längerer Entdeckungstour erschließen. Man kann schnell zu der Auffassung kommen, dass der Hersteller in mehreren Ebenen wirklich das Letzte aus der Bedienoberfläche und den dort verbauten Tasten und Reglern herausgeholt hat. Dabei orientiert sich die Klangsignatur weiterhin an der Grundidee, jetzt allerdings auch mit diversen Farboptionen: klar und druckvoll, warm und rund, ruppig und aggressiv oder irgendetwas dazwischen. Um die aus der Digitaltechnik gewohnte Präzision zumindest teilweise in ein analoges Gerät zu übertragen, wurden alle Regler mit rastenden Schritten ausgestattet, wahlweise mit 11 oder 31 Positionen. Jede dieser Positionen wird von einem Microcontroller gelesen und übersetzt, was für eine perfekte Präzision sorgt und nebenbei auch eine Stereo-Bedienung mit einem Parametersatz ermöglicht. Der Bus+ erfuhr neben zahlreichen funktionalen Optionen, die wir inhaltlich noch abzuarbeiten haben, eine konzeptionelle Erweiterung mit einem dynamischen Equalizer, folgerichtig als ‚D-EQ‘ bezeichnet. Es handelt sich um ein zweibandiges Design, das vor oder hinter dem Kompressor in der Signalkette platziert werden kann. Den dynamischen EQ kann man als eine ‚intelligente‘ oder vom spektralen Pegel abhängige Variante bezeichnen, bezogen auf einen statisch gesetzten Arbeitspunkt. Die Neigungsfilter-Architektur mit High- und Low-Shelf schafft einen dynamischen Zusammenhang oder Ausgleich zwischen Signalen oberhalb und unterhalb des Arbeitspunktes. Der D-EQ wurde auf einer speziell adaptierten Version des Bus Compressor Detektorkreises aufgebaut. Er arbeitet, wie wir später noch sehen werden, sehr musikalisch und ist auch sehr einfach einstellbar. Das Bus+ Design beinhaltet vier Betriebsarten: neben dem klassischen Stereobetrieb sind ein summierter M/S-Stereo-Modus (wie in der Duality Konsole), ein klassischer Mitte/Seite-Betrieb und ein unabhängiger zweikanaliger Modus für die Bearbeitung von Einzelsignalen integriert. Um die Vielzahl an Optionen und Funktionen verstehen zu können, müssen wir uns doch ein wenig intensiver mit den Details auseinandersetzen, was bei der Fülle von Möglichkeiten zur Fleißarbeit wird. Ohne in den Stil einer Bedienungsanleitung zu verfallen, verschaffen wir uns zunächst einen globalen Überblick…