Test: Heritage Audio Motorcity EQ

Seit sich dieser Equalizer in meinem Blickfeld befindet, geistern die Songs der legendären Motown-Ära der 60er und 70er in meinem Kopf herum: Smokey Robinson, Marvin Gaye, The Supremes, The Temptations, Martha Reeves & The Vandellas, Little Stevie Wonder, The Marvelettes, Four Tops, Gladys Knight & The Pips, Jackson Five – sie alle stehen für diesen typisch metallischen Sound mit den offensiven Mitten und dem unfassbaren Groove, den die nicht minder legendären Studiomusiker dieses Labels dereinst prägten. Nun ist es nicht etwa so, dass man unseren Testkandidaten in den Signalweg hängt und schon kommt hinten Motown raus. Man muss allerdings, besonders als 20-Band-Hyper-Parametric-Dynamic-Plug-In-EQ-User, ein wenig umdenken und mit einem bescheidenen Set von Parametern, besser gesagt, mit fast gar nichts außer sieben Festfrequenzen auskommen und ‚Klangformung‘ betreiben. So war das in den frühen Jahren, es gab viel Talent und wenig technische Möglichkeiten. Der Motorcity EQ war nie öffentlich verfügbar, allenfalls als Plug-In, und so tritt nun die originalgetreu rekonstruierte analoge Replik aus dem Hause Heritage Audio ein schwergewichtiges Erbe an und schlüpft mit ihrem eher unscheinbaren Metallgehäuse und ein paar Bakelitknöpfen in die sehr großen Schuhe einer sagenhaften musikalischen Epoche, die bis heute die moderne Pop-Musik beeinflusst. Nun, zumindest ist dieses Gerät ein Teil davon, denn das Tamla Motown Label ließ diesen EQ exklusiv für seine Studios entwickeln. Hier kommt die ganze Geschichte.

Es mag unproportional anmuten, den direkten Sinnzusammenhang zwischen einem funktional sehr einfach ausgestatteten Gerät zur Klanggestaltung und einer musikhistorisch bedeutenden Epoche herzustellen. Natürlich kann ein EQ unmöglich die Ursache für weltbewegende Popsongs ganzer Dekaden gewesen sein, die nicht nur meine Augen feucht-glänzend werden lassen. Ich liebe einfach diesen Sound, der heute alles andere als zeitgemäß wäre, aber wahrscheinlich sind es doch eher die Songs und die begnadeten Künstler, die mich so ins Schwärmen bringen. Ein bisschen Ursprungsgeschichte kann ja für den Einstieg nicht schaden, auch wenn unser Testkandidat als wirklich kleines Rädchen im Getriebe dadurch ein wenig übertriebenen Heldenstatus erlangt – sei’s drum: Anfang 1959 wurde in Detroit die Tamla Record Company von Berry Gordy Jr. mit einem Startkapital von 800 Dollar gegründet. 1960 folgte das Schwesterlabel Motown Record Corporation, das noch im gleichen Jahr mit Tamla zur Mutterfirma Motown verschmolzen wurde. Wer es nicht wissen sollte, aufgrund der Ansiedlung der weltweit bekannten Automobilhersteller Ford, General Motors und Chrysler bekam Detroit schon sehr früh den Spitznamen ‚Motor City‘. Rhythm & Blues und Soul waren die Hauptmusikrichtungen, die eher unerwartet aus dieser Metropole kamen und mit denen sich das Label einen Namen machte. Um ganz kurz in die Neuzeit zu blicken: Motown ist heute im Besitz der Universal Music Group. Das Label-eigene Aufnahmestudio befand sich im Erdgeschoss eines Detroiter Einfamilienhauses, Familie Gordy zog in die oberen Stockwerke um. Im Laufe weniger Jahre kaufte sich das Unternehmen durch die Nachbarschaft, um Platz für Büros und weitere Studios zu gewinnen, bis die Firma 1968 in die Innenstadt umzog. Nur das ursprüngliche Studio A wurde noch bis 1972 am Ursprungsort genutzt. Es begann eine aberwitzig erfolgreiche Zeit mit zahllosen Nr. 1 Hits, aber selbst die Supergruppe Jackson Five mit ihrem damals 11jährigen Sänger Michael Jackson wird von Musikhistorikern schon nicht mehr zur eigentlichen Motown-Ära gezählt, obwohl das der größte Erfolg des Labels war. Gordy eröffnete eine Hollywood-Filiale, um seine Künstler in die Bildmedien zu bringen. Die Songs wurden kommerzieller, es gab Streit mit den Produzenten und Songschreibern, selbstverständlich wie immer um Geld, aber auch in den 80er und 90er Jahren hatte Motown noch Superstars wie Lionel Ritchie, Rick James oder Boyz II Men unter Vertrag. Tatsächlich ist Stevie Wonder nach vielen Irrwegen, Geschäftsführer- und Inhaberwechseln der einzige verbliebene Künstler aus der beispiellosen Erfolgsära mit 110 Top-Ten-Hits.