Testbericht: Vertigo Sound VSE-4

Ich muss immer etwas schmunzeln, wenn in den einschlägigen Foren über die typischen klanglichen Eigenschaften spezieller analoger Schaltungen diskutiert wird, dabei aber immer die digitalen Emulationen in Plug-In-Form gemeint sind, die bekanntermaßen das Verhalten analoger Komponenten mit gänzlich anderen Mitteln nachzuahmen versuchen. In den meisten Fällen dient ein analoges Original als Vorlage, dessen digitale ‚Kopie‘ von der Bekanntheit oder dem Legendenstatus des Originals profitieren möchte. Dabei kommt es schnell zu, meist beabsichtigten, Verwechslungen, bei denen das Plug-In an die Stelle des Originals rückt und durch die Hintertür als ‚perfektes Abbild‘ selbst zur Legende wird. Das ist aber nur der Einstieg zu einer gänzlich anderen Überlegung, nämlich der komplett eigenständigen Entwicklung eines analogen Gerätes auf der digitalen Ebene. Eines der wenigen Beispiele für eine solche Vorgehensweise ist das hier zum Test vorliegende VSE-4 Plug-In von Vertigo Sound, namentlich des Analogentwicklers und Firmeninhabers Andy Eschenwecker und seines ‚digitalen Programmier-Pendants‘ Sebastian Pods.

Ursprünglich sollte der VSE-4 eine analoge Entwicklung werden, doch schnell wurde klar, dass die Hardware-Umsetzung in einer hochgradig kostspieligen Materialschlacht enden würde, mit einem am Ende kaum marktfähigen Verkaufspreis. Wie schon beim VSM-4 Plug-In, einem Sättigungs-Plug-In aus gleichem Hause, das auch nur zum Teil auf einer real existierenden analogen Röhrenschaltung basierte, entschloss sich das Zweigespann, den schon praktizierten Prozess einer Komponenten-bezogenen Programmierung für eine digitale Umsetzung der neuen Produktidee zugrunde zu legen. Ganz ohne analoge Inspiration ging es auch hier nicht, denn zumindest ein wenig stand der analoge Vertigo Sound VSE-2 Gyrator-EQ bei der Umsetzung des VSE-4 Plug-Ins Pate. Das bereits existierende VSE-2 Plug-In als ‚echte‘ Emulation des analogen Originals sollte jedoch nicht einfach erweitert und mit ein paar Extras ausgestattet werden. Analoge Entwicklungen von Andy Eschenwecker waren immer von der Faszination für Nicht-Linearitäten begleitet – Operationsverstärker, VCAs oder der Gyrator, der dem VSE-2-Plug-In und seinem analogen Vorbild als Hauptelement zugrunde liegt. Es wäre zu einfach gewesen, die Algorithmen aus dem VSE-2 zu verwenden, jedoch entspräche das nicht der Philosophie der im München ansässigen Schmiede für extravagante analoge Lösungen, deren Anspruch auch auf das Angebot digitaler Vertigo-Entwicklungen übertragen wurde. Durch die VSM-Geräteserie und die daraus abgeleiteten Plug-Ins konnten wertvolle Erkenntnisse über die digitale Emulation analoger Verzerrungen gewonnen werden. Auch das Gyrator-Design des analogen VSE-2, das ein perfektes ‚Röhrenspektrum‘ liefert, trug dazu bei, das VSE-4 Plug-In mit verschiedenen ‚Oberton-Extras‘ auszustatten. Das neue Plug-In sollte dennoch keinesfalls auf Code-Recycling basieren. Das Herz eines analogen Designs und auch dessen digitale Umsetzung basiert bei Vertigo-Sound-Entwicklungen stets auf neuen Ideen, damit der Anwender auch etwas wirklich Originelles bekommt, das den Klanghorizont erweitert. Das ist auch der Grund, warum es kein Upgrade von VSE-2 auf VSE-4 gibt. VSE-4 ist ein gänzlich anderes Konzept, dass von Grund auf neu entstand.