Zentralpedal

Wenn Sie morgens in der Pilotenkanzel ihres Kraftfahrzeugs Platz nehmen und der Motor tatsächlich anspringt (gibt‘s eigentlich noch Autos, die das nicht tun...?), haben sich hinter ihrem Rücken bereits mehrere Mikroprozessoren geräuspert und in Windeseile das richtige Luft/Benzingemisch errechnet, einige Kläppchen und Motörchen betätigt und bewegt, den optimalen Zündzeitpunkt gefunden, die Klimaanlage auf die gewünschte Temperatur eingestellt und einige andere Kunststückchen vollbracht, die allesamt dazu dienen, Ihnen den Start in den Tag so angenehm und einfach wie möglich zu gestalten. Das mag ja auch alles ganz nett sein, doch ist der wirklich letzte Schrei auf dem Gebiet der automobilen Entwicklung ein Fahrzeug, das nur noch mit ganz wenigen zentralen Bedienungselementen auskommt. So können beispielsweise die Funktionen ‚Kupplung‘, ‚Bremse‘ und ‚Gas‘ bequem über Zugriffstasten am Lenkrad je nach Verkehrssituation einem Zentralpedal zugeordnet werden, das die bisherigen schrecklich unübersichtlichen Einzelpedale ersetzt. Ebenso wurde mit den Hebeln für Scheibenwischer, Licht und Blinker am Lenkrad verfahren, die nun durch einen viel praktischeren zentralen Hebel ersetzt wurden, der auf Tastendruck unterschiedliche Funktionen annehmen kann. Vorbei die Zeiten des lästigen Wechsels von Pedal zu Pedal, von Hebel zu Hebel. Und wenn ich möchte, kann ich wahlweise die Einstellung der Fahrzeuginnentemperatur oder der Lautstärke des Autoradios ebenfalls auf das Zentralpedal oder den Zentralhebel legen. Ich kann aber auch mit dem Zentralhebel bremsen oder mit dem Zentralpedal die Scheibenwischer aktivieren. Diese Beliebigkeit und Flexibilität überwältigt mich. Meine ersten Fahrversuche verlaufen allerdings weniger erfolgreich: Bei 35 Grad Fahrzeuginnentemperatur, aufgeblendeten Scheinwerfern und brüllend lautem Radio würge ich den Motor mitten auf einer Kreuzung ab, obwohl ich eigentlich die Scheibenwischer einschalten und an der Ampel bremsen wollte. Was war passiert und wieso hatte ich bislang am Steuer eines herkömmlichen Fahrzeugs keine derartigen Probleme? Sicher ist alles nur eine Frage der Übung und Konzentration, aber so richtig auf das Fahren konzentrieren brauchte ich mich in meinem bisherigen Auto eigentlich noch nie... Na schön, der Vergleich hinkt vielleicht ein kleines bißchen, doch ähnlich wird sich so mancher Toningenieur fühlen, wenn er zum ersten Mal mit einem zentral bedienbaren Mischpult konfrontiert wird. Möglicherweise haben Sie es dem Bruce Swedien Interview in der letzten Ausgabe entnommen – da war von Intuition, von der Unterbrechung eines kreativen Prozesses die Rede, die die musikalische Eingebung tötet. Vielleicht sind die Gehirne der Zukunft ja anders gestrickt, doch ist mir nach wie vor schleierhaft, was (in der Musikproduktion) so praktisch daran sein soll, ständig mit den Gedanken technische Vorgänge zu organisieren, anstatt einfach an die entsprechende Stelle auf dem Mischpult zu fassen. Musik produzieren, aufnehmen und mischen ist ein kreativer Vorgang, der mir ganz automatisch die Reaktion auf einen Höreindruck abverlangt. Nicht umsonst schließlich gibt es bislang keinen Flügel mit Zentraltastatur, die ich mit dem Fuß in verschiedene Bereiche umschalten kann, um mich nicht von meiner optimalen Sitzposition weg bewegen zu müssen. Und so empfinden viele von uns auch das Mischpult als eine Klaviatur, die man wie ein Instrument spielt, auf dem sich alles an seinem vermuteten Platz befindet. Denn nur so prägen sich bestimmte Bewegungsabläufe ein, die man anschließend ohne nachzudenken aus dem Unterbewußtsein holen kann. Natürlich stellt sich nicht die grundsätzliche Frage nach Automatisierungshilfen und ergonomischen Verbesserungen, doch muß man darüber nachdenken, in welche Richtung diese gehen sollen. Für die Musikproduktion maßgeschneiderte Mischpultkonzepte in digitaler Ausführung findet man auf dem Markt nur wenige, sicher in erster Linie aufgrund der schlechteren Absatzchancen, aber auch deshalb, weil die Arbeitsweise in der Musikproduktion so gar nicht in das Raster anderer expandierender Aufgabengebiete passen will, in denen Reduktion und Zentralisierung möglicherweise sehr viel mehr Sinn machen... Ich möchte Ihnen zum Abschluß des alten Jahres im Namen unseres gesamten Teams alles Gute, Gesundheit und Erfolg für 1999 wünschen – ...und daß uns Erfindungen wie das Auto mit Zentralpedal erspart bleiben mögen...

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