Wohin mit dem Enthusiasmus?

Als ich 1974 als Assistent in einem kleinen Studio die Chance ergriff, ohne offizielle Ausbildung den Beruf des Toningenieurs zu erlernen, wusste ich nicht, wohin mich das führen würde. Es war in dieser Zeit, wie ich allerdings erst im Nachhinein herausfand, überhaupt kein Problem Arbeit zu finden. Studios waren reguläre Wirtschaftsbetriebe mit angestellten Mitarbeitern, und selbst unter diesen Voraussetzungen war das Auftragsvolumen so hoch, dass zusätzlich Freiberufler, wie ich einer war, eingesetzt werden mussten. Der Arbeitstag war für die Studios deutlich länger als acht Stunden und oft genug kam es vor, dass wir in zwei Schichten arbeiten mussten. Nein, das ist keine träumerische Fantasie aus einem verwirrten Kopf, sondern es war Realität und wurde auch so als vollkommen selbstverständlich hingenommen. Tageshonorare in der Gegend von 500 Mark für uns Tonleute waren Standard, allerdings hatten Studios aufgrund der exorbitanten Investitionsgrößenordnungen auch bereitwillig von den Kunden akzeptierte Tagessätze von 2.000 Mark und mehr. Studios waren den ganzen Monat ausgelastet, ebenso die Freiberufler, denn jeder, der auch nur einen Furz aufnehmen wollte, musste sich in ein Studio einbuchen. Ein regelrechtes Schlaraffenland, an das ich manchmal mit Wehmut zurückdenke. Mit dem Zusammenbruch und der Neuordnung der Studiolandschaft erhöhte sich die Zahl der Studios und Akteure beträchtlich, was von der Gründung privater Ausbildungsinstitute und der Erweiterung des staatlichen Angebotes begleitet wurde. Unterdessen hat der Reiz, der vom Beruf des Toningenieurs ausgeht, wenig nachgelassen, obwohl die Zukunftsaussichten für den Nachwuchs eher schlecht sind, da es keine Betriebe mehr gibt, die regelmäßig Fachkräfte, wie in anderen Branchen üblich, einstellen und damit eine gesicherte berufliche Laufbahn garantieren könnten. Wenn ich bedenke, wie viele Enthusiasten mit anerkanntem Abschluss heute in den Markt entlassen werden, frage ich mich, wo all diese Leute einen Job finden wollen. Sicher nicht in der ehemals wirtschaftlich aussichtsreichen Musikproduktionsbranche. In den meisten Fällen ist es aber immer noch die Musik, die junge Leute in die professionelle Audiobranche lockt, denn ein Leben als Toningenieur und die kreative Zusammenarbeit mit Musikern steht nach wie vor ganz oben auf der Wunschliste. Leider bietet das Musikbusiness nicht genügend Platz für derartige Ambitionen, so dass so mancher, der eigentlich ‚Astronaut‘ in einem Studio werden wollte, entweder den beschwerlichen und, ganz realistische betrachtet, eher aussichtslosen Weg in die Selbstständigkeit einschlagen muss, oder sich aber in der Serviceabteilung oder im Außendienst eines Industrieunternehmens wiederfindet. Nicht, dass eine solche Tätigkeit grundsätzlich weniger erstrebenswert wäre, aber sie hat nur noch ganz am Rande mit dem Grund zu tun, warum so ein junger Typ unbedingt in die Pro Audio Branche wollte. Wer heute noch in dieser Richtung Ambitionen und einen ungebrochenen Willen hat, kann natürlich das Glück haben, mit Musikproduktionen erfolgreich zu sein, sollte aber vorsorglich einen Plan B haben, denn am Ende muss schließlich auch die Kasse stimmen, bei aller Begeisterung und Leidensfähigkeit, die junge Leute aufbringen, um ihren Lebenstraum zu realisieren. Es gibt andere Produktionszweige mit besseren Aussichten für wirtschaftliche Sicherheit, zum Beispiel in der Gaming-, Internet-, PostPro- oder Filmindustrie. Vielleicht werden sich die Kollegen, die dort arbeiten, aber auch an den Kopf fassen und sich fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Die Zeiten, in denen man Toningenieur lernen und anschließend in einer schicken Tonregie gegen regelmäßige Bezahlung Platz nehmen konnte, sind definitiv vorbei. Das alles hat leider so gar nichts mit dem zu tun, was die meisten von uns antreibt, unbedingt Teil dieser Branche sein zu wollen. Liebe macht aber bekanntlich blind. Jemand wie ich, der das große Glück hatte, sein ganzes Leben lang sein Hobby zum Beruf machen zu dürfen, scheint zu einer aussterbenden Spezies zu gehören.

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