Weltmeisterlich...
Ich versinke in einem Meer von Schwarzrotgold, Fähnchen an den Autos, Flaggen an den Fenstern, Menschen, die den Text der Nationalhymne auswendig singen können. Wie schön. Bevor es vorbei ist mit der Fußball-Weltmeisterschaft, muss ich doch auch noch etwas dazu sagen. Ich hatte von dieser Veranstaltung schon vier Wochen vor dem Eröffnungsspiel die Nase dermaßen gestrichen voll, dass ich am liebsten ins Exil gegangen wäre, aber selbst da hätte man sich einer mit Fußballjargon durchtränkten Sprache nicht entziehen können, und eigentlich wollte ich ja auch nicht im Abseits stehen, während sich andere das Leder auf dem Elfmeterpunkt zurechtlegen. Die Werbeindustrie hat es dieses Mal wirklich massiv übertrieben. Kein Werbespot ohne eine plumpe Bezugnahme auf den grünen Rasen. Wenn auf RTL ein Werbespot ohne Anspielung auf Fußball gesendet wird, hält die gesamte Nation den Atem an – keine brüllenden Fans, die vor Begeisterung über eine Tütensuppe in Verzückung geraten, keine weltmeisterlichen Preise für Waschmaschinen, keine Tickets zu gewinnen? Wie konnte das geschehen? Im Rahmen einer Marktanalyse hat man inzwischen herausgefunden, dass achtzig Prozent aller WM-Sponsoren viel Geld verlieren werden. Dennoch soll ich an der Tankstelle an Preisausschreiben teilnehmen, um vielleicht glücklicher Besitzer eines Fußballtrikots zu werden, VW stellt ein Sondermodell mit dem Namen ‚Goal‘ vor, eine Klassenlotterie ruft die Geldmeisterschaft aus, ein Energiekonzern ernennt sich selbst zum Umweltmeister – mit WM-Werbung fällt man im Moment so auf wie eine grauer Opel Vectra in einer Autoschlange bei Regen. Aber – wenn ich mich mit Freunden, Kollegen, Kunden, Lesern oder Lieferanten unterhalte, so erscheinen sie mir allesamt entspannt und gut gelaunt. Ja, ich gestehe, dass auch ich neuerdings vor dem Fernseher sitze, wenn ‚unsere Jungs‘ spielen, denn sie gewinnen ja tatsächlich! Wer hätte das gedacht? Während des Eröffnungsspiels hielt ich mich zufälligerweise in Berlin auf, unter anderem, um mit Produzent und Toningenieur Patrik Majer ein Interview zu machen (in dieser Ausgabe...). Natürlich hab ich es mir nicht nehmen lassen, von der Ostseite her zum Brandenburger Tor vorzudringen, um einen Blick auf die Fan-Meile zu werfen. Bis zu 750.000 Menschen finden sich dort zusammen, um ein Fußballspiel über Großbildleinwände gemeinsam zu sehen. Wenn dieses Gemeinschaftsgefühl doch nur in bisschen vorhalten würde – jetzt, wo Besucher aus dem Ausland darüber staunen, wie sauber unsere Straßen sind, wie nett und hilfsbereit die Menschen, wie grün die Bäume, wie gepflegt die Städte und wie schön das Wetter. Man hat herausgefunden, dass in Austragungsländern von Fußballweltmeisterschaften, bei denen die heimische Nationalelf den Weltmeistertitel holte, anschließend ein spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung folgte. Nun ja, wenn‘s hilft? Wir können alle ein bisschen von dem Stolz gebrauchen, den die Fußball-Fans aus aller Herren Länder in unseren Straßen so herrlich unbekümmert vor sich hertragen. Um es mit Jürgen Klinsmann zu sagen: ‚Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann!‘ Für vier Wochen interessiert sich mal keiner für Steuererhöhungen, Neuverschuldung, Arbeitslosigkeit und ein marodes Sozialsystem. Doch nach dem Endspiel wird uns der Alltag wieder einholen, am Aschermittwoch ist alles vorbei – ach nein, das ist diese andere Veranstaltung, aber gewisse Ähnlichkeiten sind doch unverkennbar. Also – wenn wir den wirtschaftlichen Aufschwung wollen, dann müssen wir unseren Jungs die Daumen drücken und dürfen auch nicht lachen, wenn sie mal komische Sachen im Fernsehen sagen. Alle Maßnahmen der Bundesregierung, unser Land in eine bessere Zukunft zu führen, sind bislang gescheitert, jetzt hilft nur noch der Titel. Aber wie sagte Jean-Paul Sartre sinngemäß? ‚Beim Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft...‘ Also werden wir noch ein bisschen zittern müssen. Ich darf mit den Worten von Fußball-Idol George Best schließen, weil es einfach zu schön ist: ‚Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst!‘ Ich wünsche Ihnen eine schöne Restmeisterschaft...