Sonne und Regen

Irgendwo in Santa Monica: Ich läute an der repräsentativen Pforte und eine sonnengebräunte Bikinischönheit auf Rollerblades begleitet mich durch den riesigen Garten zum Pool. Jetzt verstehe ich auch, warum ich Badekleidung mitbringen sollte. Die anderen Kunden haben es sich offenbar schon auf der Pool-Terrasse bequem gemacht und unterhalten sich angeregt mit anderen Bikinischönheiten – diesmal ohne Rollerblades. Ein weißbefrackter Jüngling fragt mich nach meinem Getränkewunsch und eilt davon, um ihn mir zu erfüllen. Ich versuche, mein Masterband irgendwo in den kühlenden Schatten zu bringen; so kurz vor Produktionsende will ich nichts mehr riskieren. Ja, die Amerikaner – die verstehen es zu leben. Und offenbar besonders George Mastermaker, dessen Masteringstudio ich heute zum ersten Mal besuche. Er bietet – wie man allerorten hört - nicht nur feinste Analogtechnik auf höchstem Niveau, sondern auch die soeben anrißweise beschriebenen Annehmlichkeiten, die mich sicher zwei oder drei Wartestunden mühelos verschmerzen lassen. Eine sanft in den Ohren klingende Glocke ertönt und einer der Kunden entschwindet mit erwartungsvollem Blick durch den Studioeingang. Offenbar ist seine Produktion soeben zur Abnahme freigegeben. Nach ziemlich genau zwölf Minuten, ich habe es interessehalber mal gestoppt, kommt er wieder heraus, mit überglücklichem, freudentränenüberströmtem Gesicht, gestützt von zwei kräftigen Herren in Muscle-Shirts, die ihn offenbar zu seinem Fahrzeug begleiten. ‚Phantastisch‘, ‚danke Meister‘, ‚ein Wunder‘, ‚ich liebe Euch alle‘ und ähnliche Rufe der Verzückung verhallen langsam, während er zwischen den Palmen hinter dem kleinen Reptilien-Privatzoo in Richtung Ocean Boulevard entschwebt. Nach etwa vier Stunden entspannter, überaus kurzweiliger Wartezeit ertönt erneut die Glocke. Diesmal bin ich an der Reihe. Ich löse mich sanft aus der freundschaftlichen Umarmung der mir zugeteilten Bikinischönheit und schwebe, ein wenig durch die Sonneneinstrahlung und den Duft des Parfums benommen, hinüber zum Studio. Der Meister, George Mastermaker, empfängt mich mit gütigem Lächeln. Ich möge ihn doch George nennen, lädt er mich ein und bietet mir einen Stuhl im Sweetspot seines überwältigenden Regieraums an. Sogleich, nach einer kleinen Konzentrationsübung, betätigt er die Play-Taste seiner tiefergelegten Studer-Maschine. Bereits nach den ersten Sekunden bin ich sprachlos. Das soll meine Abmischung sein?? Diese Tiefe, diese Räumlichkeit, dieser wuchtige, trockene Baß, diese ausgewogen spektrale Ausleuchtung der Instrumente. Wie hat er das nur gemacht? Unauffällig schiebt George seine Glaskugel nebst Würfelknochen beiseite und fragt mich nach meinem Eindruck. Ich bin immer noch sprachlos und bedanke mich stumm mit einem langen Händedruck hemmungsloser Bewunderung. Etwas gefaßter als der unbekannte Kollege vier Stunden zuvor, aber doch in einer Art Glücksrausch, finde ich selbst den Weg zum Ausgang... Szenenwechsel (Sie ahnen es...): An einem regnerisch-stürmischen Vormittag treffe ich in Hamburg ein. Der Himmel grau in grau. Dennoch: wozu den langen Flug nach Los Angeles und die damit einher gehenden, nicht unerheblichen Kosten in Kauf nehmen? Auch bei uns zu Hause gibt es genügend Masteringstudios. Eine freundliche Dame mittleren Alters in einem klassisch blauen Kostüm am Empfang bittet mich, das Auftragsformular, die Mastering-Order, die persönliche Selbstauskunft und die Übernahmebestätigung des Masterbandes (eine herkömmliche DAT-Cassette) sorgfältigst auszufüllen, ‚damit auch alles seine gute Ordnung hat‘. Nach knapp anderthalb Stunden sind die Formalitäten bereits erledigt und man überreicht mir eine grafisch sauber ausgearbeitete Wegbeschreibung zum Studio. Der Weg führt mich über den Hof in die zweite Etage eines alten Industriegebäudes. Hinter der Treppe links, dann die dritte Tür rechts, durch den Gang bis ans Ende, dann links, die vierte Tür auf der rechten Seite. Kein Problem. Diplom-Ingenieur Dr. Rudolf Petersen empfängt mich mit einem sorgenvollen Gesicht, ein langes Fehlerprotokoll in Händen haltend, das fast vollständig seinen weißen Kittel verdeckt. ‚Spektrum-FFT-Analysator, Oszilloskop, Fehlerprüf- und Stereosichtgerät sprechen eine eindeutige Sprache‘, sagt er. ‚Im Bereich 1 Minute 34 Sekunden gibt es eine kurzzeitige Gegenphasigkeit von vier Sekunden auf dem Band, gefolgt von sieben nicht korrigierbaren E-32-Fehlern im Abstand von vierzehn Millisekunden‘. ‚Ich fürchte, wir müssen operieren!‘ Ich ringe nach Fassung. So schlimm...!? Nach einer zweistündigen Korrektursitzung endlich die erlösende Entwarnung: ‚So kann man es notfalls machen (zeigt mir ein mit Zahlen überflutetes Flußdiagramm). Sie hören dann von mir...‘. Diplom-Ingenieur Dr. Petersen verabschiedet mich auffällig knapp. Spüre ich da den Hauch von Verachtung in seinem Blick? Ich entferne mich mit entschuldigenden Worten aus dem Operationssaal und denke einen Moment lang daran, aus dem Leben zu scheiden... Es ist schon so eine Sache mit den Vorurteilen. Zuerst messen, dann vielleicht hören, so glaubt man den deutschen Mastering-Ingenieur ausreichend charakterisiert zu haben. Auf der anderen Seite steht der amerikanische Mastering-Guru, dem man allenfalls ein Talent in der geschickten Vermarktung von allerlei unbewiesenem Firlefanz und magischen Auftritten in schwarzem Umhang zugesteht. Hört dieser Unsinn eigentlich nie auf?

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