Pro Audio Asyl

‚Wenn das menschliche Gehör nur einen Frequenzbereich von zwanzig Hertz bis zwanzig Kilohertz wahrnehmen kann, warum braucht man dann 192 kHz für eine DVD-Audio?‘ ‚Du verwechselst Abtastrate und Frequenzgang‘, ist die Antwort eines wohlmeinenden Mitasylanten. Die Rede ist vom ‚Pro Audio Asylum‘, einem der inzwischen zahlreichen Internet-Foren, vornehmlich in englischer Sprache, die ausgesprochen regen Zulauf genießen. Dort tummeln sich zunehmend Hilfe suchende Angehörige des Audio produzierenden oder übertragenden Gewerbes auf der Suche nach Antworten – eine Geben-und-nehmen-Strategie, die aufzugehen scheint, denn oft bekommt eine solche Frage zwanzig und mehr Antworten, die das geschilderte Problem aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachten und weitere, sich verzweigende Kommentare auslösen. Nun, warum braucht man denn eine Übertragungsbandbreite jenseits der 20-kHz-Marke? Antwort eines eher humorvollen Zeitgenossen: ‚Ist doch ne tolle Sache, abends im Lieblingsrestaurant bei einem gepflegten Hummer sagen zu können, dass der gerade neu erworbene Mikrofonvorverstärker einen Frequenzgang von Gleichstrom bis Licht hat!‘ Wer jetzt den Eindruck bekommt, das wäre alles nur ein großer Spaß, mit lauter lustigen oder gelangweilten Leuten, die nichts Besseres zu tun haben, der täuscht sich gewaltig. Vom Vater, der seinem Sohn ein Kondensator-Mikrofon schenken möchte, das nicht teurer als 100 Dollar sein darf, bis zur Fachdiskussion auf höchster Ebene über die klanglichen Unterschiede zwischen 192 kHz PCM und DSD – Internet-Foren machen vor keinem Thema halt. Da werden nach Lust und Laune Hersteller und Produkte offen kritisiert, in den überwiegenden Fällen vor einem seriösen, nachprüfbaren Hintergrund, manchmal auch mit bissigem, bisweilen geschmacklosem Unterton, wenn sich der Kommentator hinter dem frei wählbaren Benutzernamen sicher genug fühlt. Interessant fand ich eine Anfrage, die praktisch einer Suchanzeige gleichkommt: Suche einen Toningenieur, der in der Lage ist, ein 24köpfiges Streicherensemble und Schlagzeug aufzunehmen. Sollten Kollegen mit diesem Basiswissen inzwischen selbst im gelobten Audioland Amerika Mangelware geworden sein? Egal, wohin man klickt: audioasylum.com, logicuser.de, homerecording.de, überall findet das tägliche Frage- und Antwortspiel statt. Der Einzug der Rechnertechnologie in die Audioproduktion hat den Studiomarkt nicht nur demokratisiert, sondern auch auf eine technologisch breitere Basis gestellt und damit komplizierter und komplexer gemacht. Probleme mit Treibern, Plug-In-Autorisierungen, Software-Bugs und Latenzen vermischen sich mit Fragen zur symmetrischen Anschlusstechnik, richtigen Mikrofonposition und zum klanglichen Unterschied von Workstation-Software. Obwohl auf diese Weise massenweise Informationen transportiert werden, stehe ich mit meiner Meinung, dass Know-how im Pro-Audio-Gewerbe eher zu den Auslaufmodellen zu zählen ist, längst nicht alleine da. Aber so lange sich die Kollegen im Audio-Asyl darüber unterhalten, mit welchen Hilfsmitteln man den Schlagzeugsound einer Dave-Brubeck-Aufnahme aus den 50er Jahren hinbekommt, und jemand antwortet, dass es dabei wahrscheinlich in erster Linie auf Dave Brubecks Drummer Joe Morello, dessen Schlagzeug und den Raum, in dem er gespielt hat, angekommen sein dürfte, kann man sich berechtigte Hoffnungen machen, dass der Blick für die wesentlichen Dinge nicht verloren gegangen ist. Es gibt tatsächlich auch noch Leute, die sich selbst ein analoges Mischpult basteln und in die Runde fragen, wie man eine Phantomspeisung vernünftig aufbaut. Für uns als Redaktion ist es inzwischen zur Pflicht geworden, diese Foren regelmäßig zu besuchen und die aktuell gestellten Fragen zumindest zur Kenntnis zu nehmen.

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