Perfekte Welt

Schon früh in meiner Jugend stellte ich fest, dass ich ganz automatisch und mit einer gewissen Begeisterung Fluchten von Gebäuden, Türen, Fenstern, Geländern, Treppen auf Parallelität überprüfte, ohne zu überlegen, was mir daran so wichtig war. Offenbar ist es mir in die Wiege gelegt, Symmetrie, Ordnung oder Geometrie jeglicher Ausprägung als wohltuend und dementsprechend Abweichungen als irgendwie störend zu empfinden. ‚Schief‘ ist für mich ein relativ schwer zu ertragender Zustand. Auch wenn das hier einem Symmetrie-Outing gleichkommt, ich tanke nicht für 63,81 Euro, sondern natürlich für genau 65 Euro, zumindest aber für 63,80, damit eine glatte Zahl am Ende steht und ich mich an der Kasse daran erinnern kann. Vielleicht war ich ja auch deshalb sofort in den Studiobetrieb verliebt, als ich ihn, noch als Amateurmusiker, für mich entdeckte und nie mehr wegwollte. Die logische Struktur eines Steckfeldes, der gleiche Pegel zwischen dem linken und rechten Stereokanal, die symmetrische Aufstellung von Mikrofonen, die saubere Aussteuerung, das exakte Einmessen der Bandmaschine – das alles bediente so perfekt meine Vorliebe für Ordnung, Präzision und Symmetrie, dass ich keinen besseren Beruf hätte finden können. Diese penible Genauigkeit hat schon auch etwas Zwanghaftes, ohne dass ich mich nun gleich als krank bezeichnen würde, aber sie ist in der Studiowelt oft ungeheuer hilfreich. Ich höre beim Einmessen eines Abhörsystems niemals auf, bevor ich nicht eine in meinen Augen homogene Übertragungsfunktion auf dem Bildschirm sehe, und erstaunlicherweise klingen diese Kurven am Ende auch immer gut. Wenn woanders ein Bild schief hängt, würde ich es nicht richten, aber es würde mich doch stören, solange ich den Anblick ertragen muss. Die Computerwelt hat meinen Hang zur Präzision zusätzlich befeuert, denn ich brauche nicht mehr an Reglern drehen, sondern kann einen Wert eingeben. 1,874 dB sind für mich keine Option, sondern glatt 2 oder 1,5. Das kann ich mir im Kontext besser merken, und insofern hilft es mir, auch komplexe Einstellungen im Gedächtnis zu behalten. In meiner Rolle als Studioplaner komme ich mit meinen Marotten natürlich komplett auf meine Kosten, denn bei der Studioplanung ist Symmetrie einer der wichtigsten Faktoren überhaupt, vergleichbar mit der Lage bei einer Immobilie. Aber nicht nur geometrische Symmetrie ist wichtig, sondern auch Materialsymmetrie. Wenn die rechte Regiewand gemauert ist, die linke aber nur aus Gipskarton besteht, wird es am Ende Probleme bei der Tiefenwiedergabe der Lautsprecher geben, und die Materialunsymmetrie wird sich auch in der Übertragungsfunktion niederschlagen. Beim Einbauen von 19-Zoll-Geräten achte ich selbstverständlich auf eine einheitliche Geräteflucht und -parallelität, meine Lautsprecher im Studio sind perfekt eingelasert, der Center steht exakt in der Raummitte und natürlich liegt die Betriebsleuchte meines HD-Bildschirms genau über der Mitte des Center-Bändchenhochtöners. Ich höre die Phantommitte dementsprechend genau aus dem Center, genauer gesagt, aus der Mitte des Centers. Solche Referenz- und Anhaltspunkte geben mir Sicherheit, denn ich würde Kanalabweichungen unmittelbar hören. Ich finde auf diese Weise auch sofort in die exakte Sitzposition und ich halte es für befremdlich, wenn jemand beim Hören wie ein Schluck Wasser in der Kurve neben dem Sweetspot hängt und das noch nicht einmal merkt. Alles, was ich in meinem Beruf mache, hat mit Präzision, Symmetrie, Gleichheit, Beziehung oder glatten Zahlen zu tun. Ein Grund, warum ich so gerne Studios in meiner CAD-Software zeichne, sozusagen in einer Welt perfekter Präzision ohne jegliche Ungenauigkeit. Ich sehe geringste Abweichungen von Parallelität und Symmetrie, wenn andere schon längst denken, dass ich vielleicht doch einen an der Waffel habe. Ich finde es seltsam, wenn ich merke, wie lieblos falsch in manchen Studios die Lautsprecher stehen, und das hat auch klangliche Auswirkungen. Ich ahne schon, dass es dazu noch ein paar ‚nette‘ Kommentare geben wird, aber das ist mir egal. Präzision ist ein wichtiger Teil unseres Berufs und ich bade mich sozusagen darin…

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