Pech im Unglück

Es geschah an einem dieser augenscheinlich normalen Tage. Das Highlight sollte der Hörtest für den MrSpeakers Kopfhörer Ether 2 werden und so begab ich mich in mein Studio, ließ den Strom fließen und startete meinen Windows-10-Studiorechner. Windows 10 ist das mir, wie soll ich sagen, zwangsweise verordnete Betriebssystem, auf dem meine Mastering-Software SADiE läuft, die es für MacOS nicht gibt. Aber auch darüber hinaus fanden sich in der Vergangenheit kaum Gründe, diese Betriebssystemebene zu verlassen, denn auch andere DAW-Software wie zum Beispiel Nuendo läuft auf einem solchen Rechnersystem störungsfrei und zu meiner besten Zufriedenheit. Neben dem Testbetrieb für das Studio Magazin wird mein Studio bekanntermaßen auch als kommerzielles Mastering-Studio genutzt, so dass ich in mehrfacher Hinsicht auf einen reibungslosen Betrieb angewiesen bin. Nun – so war es auch, bis zu diesem denkwürdigen Tag, als mich mein Rechner mit einer Bluescreen-Meldung konfrontierte, was mich unter normalen Umständen nicht gleich in Panik verfallen lässt. In diesem Fall war die Bluescreen-Schleife aber sehr hartnäckig und ließ sich weder durch Neustarts, noch durch einfache, im Menü angebotene Reparatur- oder Gegenmaßnahmen auflösen. Ich war immer noch gelassen, denn schließlich ist jeder unserer Arbeitsplätze, so auch der Studiorechner, durch ein Image-Backup abgesichert, das auch ständig durch tägliche Inkremental-Sicherungsläufe aktualisiert wird. Als nächstes stand der Anruf bei unserem IT-Spezialisten Marcus Döring auf dem Plan, der auch in hartnäckigen bis aussichtslosen Fällen nie um eine Lösung verlegen ist. In diesem Fall war aber auch er, nachdem wir im Verlauf einer Telefonsitzung mehrere Reparaturversuche durchgespielt hatten, zunächst mit seinem Latein am Ende und wir verabredeten uns für eine ambulante Behandlung vor Ort in meinem Studio. Sie endete mit dem Vorschlag, nun doch den einfacheren Weg zu beschreiten und die Sicherung zurückzuschreiben, denn Windows 10 ließ sich weiterhin nicht dazu bewegen, einen regulären Startbildschirm zu zeigen. Es kommt, wie es in einem Computer-Krimi kommen muss – die Sicherung wurde beim Rückschreibeversuch als ‚beschädigt‘ gemeldet. Der Grund dafür ist bis heute nicht nachvollziehbar, da die Sicherungssoftware stets erfolgreich abgeschlossene Inkremental-Sicherungen meldete. Es endete also, wie könnte es anders sein, mit der Installation eines jungfräulichen, für den Audiobetrieb durch die geübte Hand von Marcus Döring konfigurierten Windows 10 und einer Neuinstallation der gesamten Audiosoftware durch mich – und der Erkenntnis, dass ich verloren hatte. Die Grundausstattung für den Mastering-Betrieb kostete mich zwei volle Tage Software-Installation und man merkt erst in einer solchen Situation, was alles für einen normalen Studiobetrieb an Software nötig ist und wie sehr ein solches System in seiner Komplexität über einen langen Zeitraum wächst. Ohne Rechner, das empfand ich als sehr gruselig, konnte ich lediglich eine CD abspielen. Das gesamte Studio mit all seiner digitalen und analogen Hardware ist ohne die Anwesenheit eines Computers nicht mehr als eine Art begehbarer CD-Player. Das Aufsetzen des Audiorechners begann dem Aufbau einer Ikea-Kommode zu gleichen. Zahllose Schräubchen, Stiftchen, Brettchen und Nägelchen fügen sich irgendwann zu einem funktionierenden Ganzen zusammen, das, wenn man genauer hinschaut oder damit in Betrieb gehen will, immer noch fehlende Teile offenbart. Es fängt bei so einfachen Dingen wie der Treibersoftware für die Audiokarte an, erstreckt sich über den iLok License Manager, das Loudness-Metering, die Steuersoftware für meine DAIS-Kreuzschiene, die wichtigsten Plug-Ins, die man in jedem Fall braucht (welche waren das noch gleich?), die SADiE-Konfiguration mit Fenster-Positionen und -Größen, allen Angaben zum Studio im PQ-Daten- und DDP-Bereich, dem Nachbau von Konfigurationen aller Art – der Platz reicht hier nicht aus, um ins Detail zu gehen. Fest steht, ohne Rechner ist ein Studio gar nichts – und eine Sicherung zu haben, bietet keinerlei Sicherheit, zumindest dann, wenn man Pech im Unglück hat…

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