Offen für alles

Während der Präsentation der neuen S-Lautsprecher-Serie des Berliner Herstellers ADAM Audio im Kölner Maarwegstudio2 hatte ich die Gelegenheit, ein längeres Gespräch mit dem Studiobetreiber und Produzenten Wolfgang Stach zu führen. Die Hörsession mit den in der Regie aufgebauten S3H ermutigte uns, immer neue Titel aufzulegen und so kamen wir ins Plaudern. In der heutigen Zeit leben viele erfolgreiche Produktionen von artifiziellen Klängen, die ausschließlich der digitalen Technik und der Arbeit im Rechner zu verdanken sind. Dementsprechend existieren diese Klangstrukturen und Sounds auch nur im Lautsprecher, ohne natürliches Vorbild. Natürliche Vorbilder in Form von echten Instrumenten gibt es reichlich und diese inspirieren die junge Generation, neue ‚Instrumente‘ und Klänge mit anderer Kraftentfaltung zu erfinden, von denen ein außerordentlicher Reiz ausgeht. Wenn ich mich selbst als Beispiel nehmen darf, brauchte ich längere Zeit, diese neue musikalische Entwicklung zu akzeptieren, denn in meiner Realität der Studioproduktion existierten über mindestens zwei Jahrzehnte ausschließlich der Musiker mit seinem Instrument und dessen Performance, die ich als Toningenieur möglichst authentisch oder manchmal auch kraftverstärkt und geformt mit Mikrofonen abzubilden hatte. ‚Musik wird vor dem Mikrofon gemacht‘, stimmt also nicht mehr in jedem Fall. Musik wird heute auch mit Tongeratoren, Layering-Verfahren und komplexen Projektstrukturen in drei Meter langen Pro Tools Sessions mit zahllosen Effektnebenzweigen regelrecht konstruiert. Das hört sich sehr technokratisch an, ist es vielleicht auch, aber am Ende entsteht doch eine neue Art von Energie, Anmutung und Emotionalität, die nicht von lebenden Musikern, sondern von ‚Musikarchitekten‘ ausgeht, die im stillen Kämmerlein mit sehr viel Ehrgeiz, Einfühlungsvermögen und Fleiß einer musikalischen Klangvision folgen. Schon frühzeitig setzte dieser Trend ein, der sich langsam und beinahe unbemerkt entwickelte, parallel zu den technischen Möglichkeiten, die eine sich immer wieder neu erfindende Industrie zur Verfügung stellte. Genau genommen war auch schon die EMT 140 Hallplatte, ein bekanntermaßen mechanisches Monstrum in Quadratmetergröße, ein erster Schritt in die virtuelle Klangwelt, denn ein Nachhallsignal, das durch eine elektro-mechanisch angeregte Stahlplatte generiert wurde, hatte kein natürliches Vorbild, sondern konnte als neue Dimension der künstlichen Hallerzeugung gelten. Ich erinnere mich noch an die erste Begegnung mit einer LinnDrum LM-2 Schlagzeug-Maschine, um die wir alle fasziniert herumstanden. Ich konnte damals nicht nachvollziehen, warum man mehrere Tage an ein paar Titeln herumprogrammieren wollte, obwohl doch ein versierter Studiodrummer die gleiche Arbeit innerhalb weniger Stunden erledigen konnte, mit vermeintlich ‚besserem‘ Ergebnis. Ich glaube, wir hatten damals einfach nicht verstanden, dass dieses Gerät ein weiteres Mosaiksteinchen einer revolutionären technischen Entwicklung war. Man diskutiert heute nicht mehr darüber, ob die Streicher in einem Musiktitel auch wirklich echt sind, sondern was der gehörte Klang in uns auslöst. Auch schon die ‚vorzeitliche‘ Aufnahme- oder Beschallungstechnik verhalf einem Schlagzeug zu einem Klang, den man im Aufnahmeraum oder auf der Bühne so nicht hören konnte. Die Mikrofone, stellvertretend für unsere Ohren, rückten ganz nah an die Trommeln heran und erzeugten ‚als ganz viele Ohren‘ in der Mischung einen Klang, der ‚in der Natur‘ nicht existierte. Warum sollte es also Grenzen geben, die man als Musiker, Produzent oder Toningenieur nicht überschreiten darf, nur weil ein paar alte Männer gewohnt sind, an einer großen Analogkonsole lebende Musiker in einem Aufnahmeraum abzufotografieren, mit Mitteln, die eigentlich nichts mit ‚Natur‘ zu tun haben. Die klassische Aufnahmetechnik ist weiterhin wichtig, aber sie ist nur noch ein Gewürz von vielen in einem ständig größer werdenden Regal...

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