Lösung von der Stange?

Inzwischen sagt jeder, der sich gerne zur Gilde professioneller Tonproduzenten zählen möchte, dass Raumakustik irgendwie wichtig ist. Insofern kann man von einem gewissen Aufklärungserfolg sprechen. Mir stellt sich jedoch immer wieder die Frage, warum Aufklärung eigentlich notwendig ist? Wer muss denn über elementare Rahmenbedingungen seiner beruflichen Tätigkeit aufgeklärt werden? Jemand, der sein Handwerk versteht oder gar eine Ausbildung genossen hat? Muss man einem Kfz-Mechaniker erklären, wozu er eine Hebebühne braucht? Die Audio-Foren sind voll von Fragen zum Thema Raumakustik – interessanterweise zielen diese immer auf die richtige Auswahl und Positionierung raumakustischer Elemente von der Stange und die Antworten verweisen stets auf die Websites der mittlerweile unzähligen Anbieter von Akustikmodulen. In den letzten Jahren ist der Verkauf modularer Akustik zu einem von den Händlern eher unerwartet lukrativen Geschäftszweig geworden. Schaum in vielerlei Gestalt mit exotisch bis wichtig anmutendem Äußeren, einzeln oder im Rundum-Sorglos-Paket verpackt, ist zum Inbegriff einer zuverlässigen Lösung jedweder raumakustischer Probleme geworden und findet containerweise den Weg zu seinen oft ahnungslosen Kunden, die weder etwas von ihren Produktionswerkzeugen noch von den Erfordernissen einer funktionierenden Arbeitsumgebung verstehen. Sozusagen ein weiteres Plug-In, das man einfach nur installieren muss. Die allgemeingültige gehaltene Montageanweisung wird in der Regel gleich mitgeliefert. Wie einfach die Welt doch geworden ist, ohne Rücksicht auf die Existenz individueller Gegebenheiten. Es sollte bekannt sein, dass all diese Heil versprechenden Module und Pakete aus einem sehr eng gefassten Angebot von Rohmaterialien hervorgehen und sich allenfalls durch ihre Konfektion unterscheiden, zu Preisen mit teilweise traumhaften Handelsspannen. Sogar die wenigen in Deutschland erfolgreich arbeitenden Studioplanungsunternehmen können sich heute kaum noch leisten, ohne eigenes Modulprogramm beim Kunden vorzusprechen, denn für viele ist die Aussicht auf eine Dreck und Staub verursachende Baumaßnahme mehr Abschreckung als Motivation. Der moderne Studiobetreiber möchte ganz am Schluss, nachdem der Arbeitstisch schon fertig verdrahtet und mit Geräten bestückt aufgebaut wurde, die Lautsprecher stehen, die Wände gestrichen sind und die schicken Halogenleuchten hängen, allenfalls noch ein paar selbstklebende ‚Absorberbilder‘ aufhängen müssen. Die Industrie bietet die entsprechende Argumentation dazu, mit einem reichhaltigen Angebot von Formen, Farben und Paketpreisen. Damit bekommt der Begriff ‚Studiodesign‘ eine ganz neue Bedeutung. Die akustischen Eigenschaften verschiedener HiTech-Schäume beschränken sich in der Regel auf die Absorption mittlerer und hoher Frequenzen, auch wenn etwas voluminöser anmutenden Eckmodulen aus dem gleichen Material außergewöhnliche Tiefenabsorptionseigenschaften nachgesagt werden, die einer messtechnischen Überprüfung kaum standhalten würden. Der Vor- und gleichzeitig Nachteil eines mit Schaummodulen von der Stange behandelten Raumes ist, je nach Blickwinkel, die Tatsache, dass nach der Montage keine messtechnische Überprüfung mehr stattfindet. Der Studiobetreiber muss sich mit einem gefühlten Ergebnis zufriedengeben und stellt erst nach Abwicklung einiger Aufträge fest, ob sein Raum funktioniert oder nicht. Ich möchte hier keine Prognose darüber anstellen, wie oft derartige raumakustische ‚Gestaltungsmaßnahmen‘ mit enttäuschenden Ergebnissen enden – ein gutes Gefühl habe ich dabei jedenfalls nicht. Die Raumakustik ist ein sehr komplexes und launenhaftes Wesen, dessen lückenlose Beschreibung hier jeden Rahmen sprengen würde und daher einfachen ‚Plug-In-Lösungen‘ gerne die lange Nase zeigt. Zu viele Faktoren spielen eine eminente Rolle, als dass man mit Selbstklebe-Aktionen zum Erfolg kommen könnte, es sei denn, man weiß genau, was man tut. Aber da wären wir wieder beim Anfang meiner Ausführungen. Ein gesundes Misstrauen gegenüber allzu einfach und preiswert daherkommenden ‚Set-and-Forget‘-Angeboten ist auf jeden Fall angebracht...

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