Inhalt oder Content?

Erwachsene, aber ganz offensichtlich geistig arme Menschen leben zusammen in einem Wohncontainer auf engstem Raum, kichern, zanken und vögeln vor laufenden Kameras, duschen nicht, oder wenn, dann nur im Rahmen eines professionell inszenierten dümmlich-voyeuristischen Ensembles, gehen am Ende jedoch zufrieden grunzend mit einem Haufen Kohle nach Hause, denn die Vermarktungschancen eines solch dösigen TV-Spektakels sind enorm. CDs mit lallenden Containerinsassen werden auf den Markt geworfen, Kappen und T-Shirts verkauft, Gastauftritte in noch dösigeren Talkshows gegen Bares anberaumt. Und das Publikum johlt vor Begeisterung, wettert gegen die Äkosteuer und steigende Benzinpreise, aber kauft anschließend eine blödsinnige Container-CD für 36 Mark 99 und eine Big Brother Kappe für noch mal 29 Mark 90 dazu, möglichst gleich noch an der Kasse der Tankstelle, wo man gerade unter Protest 3 Mark 60 mehr als sonst für seine Tankfüllung bezahlt hat. Dass irgend ein hergelaufener Torfkopf für nichts Millionen scheffelt, wird vom Content Consumer nicht im geringsten als ungerecht empfunden, auch wenn es ihm zunehmend Schwierigkeiten macht, seine Familie zu ernähren, schlimmer noch, er merkt nicht einmal, dass die sogenannten Inhalte, die ihm alltäglich vorgesetzt werden, allenfalls dazu dienen, ihn faul, gefräßig, dumm und pflegeleicht zu machen. Vor einigen Tagen bekam ich eine Pressemeldung in die Hände, die über den erfolgreichen Messeauftritt eines Content Operators und Technologiedienstleisters berichtet. Die mittlerweile unvorstellbare Menge nutzloser Inhalte muss schließlich auch mit aufwendigster Technologie katalogisiert, transportiert und verteilt werden, direkt in die zwischenzeitlich ausgehöhlten Köpfe eines wehrlosen Publikums. Haben wir uns den Umgang mit Technik zukünftig so vorzustellen? Content Manager (frei übersetzt vielleicht ‚Schrotthändler‘) verwalten einen Haufen Mist mit kostspieliger Technik, und selbst das Wort ‚Inhalt‘ wurde durch den neudeutschen Begriff ‚Content‘ ersetzt, damit man nicht Gefahr läuft, daran erinnert zu werden, was ursprünglich damit gemeint war. Als Tonkutscher – oder allgemeiner gesprochen ‚Medieningenieur‘ - macht man sich zum Zwecke des Broterwerbs schnell zum Erfüllungsgehilfen der Entertainment-Industrie, die dem Volk das gibt, was das Volk will: nicht mehr nachdenken müssen. Selbsternannte Hobbypsychologen beraten seelisch in Not geratene Zeitgenossen und sezieren ihre Alltags- und Beziehungsprobleme vor einer grölenden Meute in einem Fernsehstudio, dumm daher plappernde Moderatoren führen durch sogenannte Reporter-Magazine, die am Schluss der Sendung Bilder aus einem holländischen Swingerclub präsentieren, um unter dem Deckmantel einer seriösen Berichterstattung endlich ein paar entblößte Hausfrauenkörper in geschmackloser Unterwäsche präsentieren zu können. Dazu ist mir unsere schöne Studiotechnik eigentlich zu schade, doch wir ‚Audioten‘ sind ja zumindest augenscheinlich auch nicht viel besser, denn wir diskutieren viel zu oft über die Produktion und Bearbeitung von ‚Audiomaterial‘ fernab aller inhaltlicher Qualität, allerdings mit dem Unterschied, dass wir nicht doof sind, sondern uns lediglich vor lauter Begeisterung für unser Spielzeug ein wenig vom eigentlichen Thema haben ablenken lassen. Unsere ‚Verpackung‘ ist die technische Übertragungsqualität, aber bitte möglichst nicht von kulturlosem geistigem Müll, sondern von guter Musik, anspruchsvoller Information und Unterhaltung, spannender wissenschaftlicher Dokumentation oder von hilfreichem Wissen über den Planeten, auf dem wir leben. Die höchste Form des Absurden wird dann erreicht sein, wenn wir mit bunten Atemschutzmasken und schriller UV-Schutzkleidung einen neuen Größenrekord des Ozonlochs über dem europäischen Kontinent in den Straßen unserer Hauptstädte feiern, mit zwei Container-Stars der siebenundsechzigsten Big Brother Staffel als stumpf-jaulendes Moderatoren-Duo, weltweit live über Satellit in 120 Millionen Haushalte, selbstverständlich in 7.1 Surround und 3-D-High-Definition-Geruchs- und Fühlfernsehen. Gute Unterhaltung! Übrigens, das neue Jahrtausend beginnt am 1. Januar 2001. Aber warum noch warten, wenn man an diesem vermarktungsträchtigen Ereignis auch schon ein Jahr früher eine Menge Geld verdienen kann?

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