In einem fernen Land...

‚Etwa zwei Kilometer geradeaus, an der Tankstelle rechts, an der nächsten Ampel links und dann sehen Sie schon die Einfahrt...‘, der freundliche Herr gibt mir bereitwillig Auskunft und ich folge erwartungsvoll seinen Anweisungen. Und richtig, da ist es ja auch schon! Ich passiere die Einfahrt und werde durch deutliche Fahrbahnmarkierungen in die richtige Spur eingewiesen. Vor einer Lautsprechersäule zwingt mich eine kleine rot/weiß gestreift lackierte Schranke zum Anhalten und ich betätige meinen elektrischen Fensterheber. ‚Bitte hier Ihre Bestellung aufgeben,‘ unterrichtet mich die kleine Tafel unterhalb der Freisprech-Einrichtung und eine freundliche Stimme fragt: ‚Pro-Audio-Drive-In, guten Tag, mein Name ist Sonja Klotzmann, was kann ich für Sie tun?‘ Ich bin bereits bestens vorbereitet und gebe meine Bestellung auf: ‚Einen Digitalkompressor DK4000, ein Pärchen Nahfeldmonitore WB 800 A, zwei Mikrofonkabel und eine kleine Cola, bitte!‘ ‚Möchten Sie einen D/A-Wandler zum DK4000?‘ ‚Nein, danke,‘ antworte ich mit etwas verärgertem Unterton, denn von meinem Kollegen weiß ich, daß das Personal in jedem Pro-Audio-Drive-In darauf trainiert ist, den Kunden ein kleines Extra aufzuschwatzen. ‚Bitte fahren Sie zum nächsten Schalter vor, vielen Dank für Ihre Bestellung!‘, ertönt es nochmals freundlich aus dem Lautsprecher und die kleine Schranke öffnet sich. Ich folge bereitwillig den Anweisungen und fahre weiter. Im Glashäuschen sitzt eine extrem gut aussehende Blondine, offenbar die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher, und reicht mir die Rechnung durch ein automatisches Schubfach. Ich führe weisungsgemäß meine Kreditkarte in den hierfür vorgesehenen Schlitz ein: ‚Zahlung erfolgt‘, zeigt das Farbdisplay und die junge Dame - Mitarbeiterin des Monats, wie ich auf Ihrem Namensschild erkennen kann - verweist mich an die Warenausgabe. Also auf zum nächsten Schalter. Zwei junge Burschen im Overall laden die Kartons in den Kofferraum, wünschen mir viel Spaß mit meinem neuen Equipment und einen schönen Tag dazu, nicht ohne mir am Schluß die bestellte Cola auf einem Einwegtablett in einem Einwegbecher serviert zu haben. Das ging ja wirklich schnell! Mein Kollege hatte mich schon vorgewarnt; normalerweise ist die Warteschlange mindestens zwanzig, dreißig Autos lang, aber diese neue Geschäftsstelle scheint sich bei den Studiokunden noch nicht so richtig herumgesprochen zu haben. So! Jetzt noch schnell zu den Altgeräte-Containern und dann ab nach Hause ins Studio. ‚Trennen Sie mit!‘ Ein großes Plakat erleichtert mir die Suche nach der Entsorgungsstelle: ‚Metall, Kunststoff, Elektronikschrott, Papier‘, alles ist sehr übersichtlich beschriftet. Ich entledige mich meines ausgedienten Digitalkompressors DK2000 (vier Monate alt), meiner Nahfeldmonitore WB 400 A (6 Monate alt) und meines Einwegtabletts nebst Einwegbecher in entsprechend vorsortierten Einzelteilen und mache mich auf den Heimweg. Seit es die ‚Pro-Audio-Drive-In‘-Kette gibt, sind die Preise extrem in den Keller gegangen. Da macht es richtig Spaß, in immer kürzeren Abständen neue Geräte zu kaufen. Kein Wunder, denn der Groß- und Einzelhandel ist komplett ausgeschaltet. Ich kaufe direkt beim Hersteller. Wer möchte da noch im Abseits stehen? Wirklich ein guter Tip. Ich muß meinen Kollegen unbedingt auf einen Drink einladen. Zu Hause angekommen, kann ich es kaum erwarten, meine neuesten Errungenschaften anzuschließen. Doch welch ein Ärger: der Hochtöner einer der beiden Monitore ist defekt. Leise fluchend steige ich wieder ins Auto und fahre zurück zum Pro-Audio-Drive-In. ‚Mit Reklamationen wenden Sie sich bitte an unsere Hauptstelle in Recklinghausen...‘ sagt die gleiche freundliche Stimme aus dem Lautsprecher. Die kleine Schranke bleibt geschlossen, ich koche und meine Reifen qualmen unter der Last meines energischen Wendemanövers. Fünfundsechzig Kilometer, zahlreiche Flüche, Verkehrsübertretungen und Beinahe-Unfälle später erreiche ich die Pro-Audio-Drive-In-Hauptgeschäftsstelle: ein 24-stöckiges Prachtgebäude, ein Traum aus Stahl und Glas mit einem Portal, zehnmal so groß wie die Stereobasisbreite meines Studios. Meine Wut verwandelt sich schlagartig in Ehrfurcht. Ich spreche zaghaft am Empfang vor und erläutere mein Anliegen. Der freundliche Herr, Typ Alterspräsident, klärt mich auf: ‚Wenden Sie sich bitte an unsere Reklamations- und Serviceabteilung. Sie befindet sich direkt im Stockwerk unter Parkdeck 10...‘ Aha, das Gebäude scheint ja genauso tief wie hoch zu sein. Ich fahre mit dem Fahrstuhl herunter und lande vor der schäbigen Tür eines klapprigen Wellblechverschlags. ‚Bin gleich wieder da‘, heißt es auf dem angehefteten Zettel. Nach einer Stunde vergeblichen Wartens überdenke ich schließlich die Möglichkeit eines problemlosen Neukaufs der defekten Ware und einer gemeinsamen Apfeltasche mit der Mitarbeiterin des Monats im Pro-Audio-Drive-In. Bei den Preisen...

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