Fertig

Fertig!

‚Sehr geehrte Damen und Herren, wir können Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass die digitale Audiotechnik zu Ende entwickelt ist. Wir wünschen Ihnen noch viel Freude und Erfolg mit Ihrem Equipment und melden uns zu gegebener Zeit mit neuen Ideen zurück.‘ Dieses Schreiben liegt längst auf unser aller Tisch, wir haben es nur noch nicht bemerkt. Ich fühle mich in die letzten erfolgreichen beherrschenden Jahre der analogen Technik zurückversetzt. Es war schon alles entwickelt worden, nur eben noch nicht von allen. Nicht zuletzt die Sucht nach Vintage-Equipment bescheinigt uns, dass analoge Gerätschaften aus grauer Vorzeit auch den aktuellen Anforderungen der Tonproduktion entsprechen. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass die Digitaltechnik uns nicht den rechten Kick und das Gefühl bescheren kann, eine nennenswerte Abwechslung mit individueller Ausprägung im Berufsalltag zu erleben? Gepaart mit den Errungenschaften der PCM-Technologie haben wir jedenfalls alle Möglichkeiten, ein zeitgemäßes, qualitativ hochwertiges Tondokument zu erstellen, denn auch Wandlertechnologie oder Systemtaktung lassen kaum Spielraum für deutliche Fortschritte. Da stellt sich die berechtigte Frage, woran die herstellende Audioindustrie eigentlich gerade arbeitet. Die Welt der Einsen und Nullen (man begegnet erfahrungsgemäß mehr Nullen als Einsen) hat ihren Endpunkt eigentlich erreicht. Welche Ziele kann man also noch haben? Verschiedene Firmen haben damit begonnen, das, was sie schon haben, zu verkleinern, andere bauen analoges Equipment neu, das es in ähnlicher Form schon gibt, nur eben nicht so neu, manche machen sich Gedanken darüber, wie man digitale Audiotechnik besser oder schneller bedienbar machen kann und schließlich gibt es auch Unternehmen, die daran arbeiten, wie man für weniger Geld mit weniger Bandbreitenbedarf schneller Audioprogramme an die Ohren der Hörer transportieren kann. Die meisten aber beschäftigen sich damit, die vorhandene Technologie einfach nur billiger zu machen, denn das ist das Entscheidungskriterium schlechthin. Ein Löffel ist ein Löffel. Er ist fertig, so wie er ist. Trotzdem bringen viele Firmen jedes Jahr neue Löffel auf den Markt, in einem anderen Design, mit einer anderen Form der ‚Schlürfschale‘ oder aus einem anderen Material. Es gibt etwa 736 USB-Digitalinterface-Kistchen und ebenso viele Soundkarten und Wandler, ergänzend dazu 134.856 Software-Produkte, die alle eines gemeinsam haben: 24 Bit und eine Abtastrate beliebiger Wahl, derzeit bis 384 kHz, um sich vom Proletariat der Tonschaffenden abzuheben. Die Industrie dreht unterdessen an vielen kleinen Rädchen, die erstarrte Digitaltechnik für die Anwender interessanter zu machen. Sollten meine Ausführungen eine gewisse Endzeitstimmung bei Ihnen auslösen, finde ich sicherlich noch ein paar tröstende Worte. Noch nie in der Geschichte der Digitaltechnik existierte eine größere Investitionssicherheit als heute. Digitale Hardware ist nicht mehr diesem erbarmungslosen Verfallprozess unterworfen, der ein Gerät kurz nach der Lieferung zur Tageszeitung von gestern werden lässt. Das Marktangebot ist ungemein groß und ermöglicht uns eine gezielte und beinahe entspannte Auswahl des ‚richtigen‘ Equipments, unter Ausschöpfung des Vorteils, ein von sehr vielen Anbietern heftig umworbenes Wesen zu sein. Alle bieten prinzipiell das Gleiche an, in anderer Farbe, anderer Form oder zu einem anderen Preis. Ein solch homogenes Einerlei spornt am Ende vielleicht doch noch dazu an, den Kopf aus den flachen Wellen deutlich zu erheben, und dann hoffentlich nicht mit einer Festplatte, die anstatt zwei vier Terrabyte Daten speichern kann. Das erinnert mich an die Werbung für einen Nassrasierer, der alle sechs Monate eine Klinge mehr hat, um noch sanfter, noch gründlicher und noch moderner zu sein, jetzt auch mit Batteriebetrieb...

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