Die neue Freiheit

Seit der Erfindung des Transistorradios sind viele Elefanten unseres täglichen Lebens zur Mücke geworden – und wenn etwas klein ist, kann man es auch mitnehmen, zum Beispiel ein komplettes Tonstudio. Nein, ich meine keinen Ü-Wagen, sondern einen Laptop nebst Knopf im Ohr. Bald beginnt wieder die wärmere Jahreszeit, die uns einlädt, das Leben nach draußen zu verlagern und dann werden wir sie wieder überall antreffen, die Musikproduzenten einer neuen Generation mit ihren Powerbooks, die nicht länger bereit sind, Radiojingles oder Filmmusik in einer festen Behausung zu produzieren, sondern lieber genau da, wo gerade eine Inspiration wartet: Am Busbahnhof in Dortmund, mitten auf der Wiese des Kölner Stadtgartens, auf einer Parkbank im Duisburger Zoo oder eben auch auf der Wagontoilette eines Oberhausener Nahverkehrszuges. Die entsprechende Software-Ausstattung gibt es schon seit geraumer Zeit und jetzt, wo Apple eine ganze Garage nebst Band in ein knapp zwei Zentimeter hohes Laptop-Gehäuse gepresst hat, ist der Kreativität auch auf der Konsumentenseite keine Grenze mehr gesetzt. Für jeweils knapp unter 100 Euro kauft man im Internet ein Paket, neudeutsch ‚Jam Pack‘, mit hunderten von Rhythm Section Templates aller nur denkbaren musikalischen Richtungen inklusive Bass und Gitarre, zahllosen weiteren Software-Instrumenten und, wie könnte es anders sein, natürlich auch einem kompletten Symphonieorchester mit allem, was das Profi- und Amateurmusikerherz begehrt. Dass sich nun die professionellen Anwender von Logic der gleichen Sound- und Instrumentenbibliotheken wie die Hobby-Power-User von GarageBand bedienen sollen, ist ja eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn Musikproduzenten und Konsumenten rücken Jahr für Jahr näher zusammen, solange bis man keine sauber erkennbare Grenze mehr ziehen kann. Angefangen hat die Entwicklung, Musik zu machen ohne Musiker zu sein, dank der explosionsartigen Entfaltung des DJ-Marktes. Berühmt und reich in 25 Tagen, sicher, das wollten wir alle, und wenn es einem die Industrie so leicht macht, mit dem geistigen Eigentum anderer schnelles Geld zu verdienen, dann ist es am Ende auch sinnvoll, wenn jeder in der Lage ist, seine eigene Musik zu produzieren. Ich darf ein Angebot aus dem Internet zitieren: ‚Nicht mehr Gitarre, Schlagzeug und Bass bestimmen die aktuelle Musik, sondern Keyboard, PC und Mischpult. Ohne Elektronik wird heute kein Hit mehr produziert. Dabei ist die Technik mittlerweile so kinderleicht geworden, dass fast jeder sein eigener Musikproduzent werden kann. Jugendliche zwischen zwölf und fünfzehn Jahren haben Gelegenheit, moderne Musiksoftware kennen zu lernen. Ohne Instrumente und Noten lernen die Teilnehmer fetzige Musik zu erstellen.‘ (Zitat Ende) Sie werden es nicht glauben, aber das ist ein Angebot aus dem Jahre 2002. Und hinterher will es wieder keiner gewusst haben. Die ersten GarageBand-Produktionen sind jedenfalls bereits bei der Musikindustrie gesichtet worden, mit der im Begleitschreiben fest formulierten Überzeugung, etwas wirklich Hitverdächtiges und Originelles ‚produziert‘ zu haben. Kann denn wirklich jemand so dumm und naiv sein, zu glauben, dass er mit einem Musterbild aus Corel Draw einen Grafik-Designer-Preis gewinnen kann, nur weil er selbst eine Fläche von blau nach rot umgefärbt hat? Ich fürchte, die Antwort lautet ‚JA‘...

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