Das zarte Pflänzchen AES Berlin

Ich erinnere mich gerne an die goldenen Zeiten, als die AES in Europa noch eine Leitmesse für die professionelle Audiobranche war und im Münchener MOC drei Hallen füllen konnte. Das ‚Wanderkonzept‘ sah vor, jedes Jahr in eine andere europäische Großstadt umzuziehen, in vergangenen Zeiten eine wirklich gute Idee, denn die Industrie gab viel Geld für diese Art von Messeauftritten aus und der Veranstaltungsort (Paris, Wien, Barcelona, Berlin, Kopenhagen, München, Eindhoven, Hamburg, London, Montreux) war gleichzeitig ein willkommener Anlass für Besucher und Aussteller, ein paar Tage beruflich motivierten ‚Urlaubs‘ in spannender Umgebung zu verbringen. Auch für die Redaktion des Studio Magazins war dies ein Grund, einmal im Jahr eine schöne Reise zu unternehmen, denn tatsächlich war die AES ein Treffpunkt für mindestens drei- oder vierhundert Aussteller und 6.000+ Besucher und somit ohnehin eine Pflichtveranstaltung für die gesamte Fachpresse, zahllose Produktneuheiten zu entdecken und Branchentalk auf internationaler Ebene zu erleben. Die letzte, von uns noch mit voller Team-Besetzung besuchte AES Europa fand in München statt, im Jahre 2009, mit rund 50 Ausstellern. Im Jahr davor hatte die AES Convention in Amsterdam schon arg Federn gelassen, aber dass sich ein so dramatischer Verfall der Ausstellerzahlen in München einstellen würde, wollten wir seinerzeit nicht wahrhaben. So verschwand die AES sang- und klanglos aus unserem und dem Fokus der gesamten Branche, denn die nachfolgenden Conventions in London, Budapest, Rom, Berlin, Warschau und Paris waren leider nur noch traurige Dokumente für den Niedergang der ehemals wichtigsten Pro-Audio-Messe mit Ausstellerzahlen, die zum Teil gefährlich nahe an die 10er-Marke rückten. Insofern war nicht damit zu rechnen, dass die AES Convention in Berlin im Mai dieses Jahres fast eine Art Renaissance erleben würde, mit immerhin 75 Marken und Ausstellern, vor allem der Tatsache geschuldet, dass die in Berlin ansässige Pro-Audio-Industrie geschlossen anrückte, weil es doch recht bequem war, in unmittelbarer Nachbarschaft Studiotechnik ausstellen zu können. Wir wissen, dass das einen Grund hat, denn die Musikmesse Frankfurt als von den Pro-Audio-Herstellern und -Vertrieben selbst gewählte ‚neue Heimat‘ im Angesicht der sterbenden AES-Convention kämpft inzwischen selbst ums Überleben. Mal eben in diesem Jahr schnell die Berliner Superbooth geentert, die sich sicherlich über den unerwarteten Zuwachs gefreut hat, auch wenn die Argumentation, im Umfeld experimenteller oder innovativer Synthesizer-Technologie auch Studiotechnik zu zeigen, nur mit Mühe gelingt. Der Tonmeistertagung fehlt es derzeit noch am ‚Äffnungswillen‘, sich der heimatsuchenden Gear-Nerds anzunehmen und die SAE Alumni Convention, die in diesem Jahr wieder im Oktober in Köln stattfinden wird, ist praktisch eine geschlossene Gesellschaft und will sich konzeptbedingt selbst feiern. Es wird also dringend Zeit, eine neue Bleibe zu suchen, wo sich die Aussteller musikrelevanten Hi-End-Equipments mit den dazu passenden Besuchern zukünftig begegnen können. Nun sollte man meinen, dass die Veranstalter der AES Convention nach einem schönen Achtungserfolg diesem Ruf und Wunsch folgen würden, mit einer in Berlin fest installierten Fachveranstaltung, auf dessen diesjähriger ‚Initialzündung‘ man sukzessive hätte aufbauen können, um über die kommenden Jahre wieder zu einem erfolgreichen und unbedingt notwendigen Pro-Audio-Familientreffen zu finden. Stattdessen verkündet die AES, im kommenden Frühjahr nach Mailand zu gehen, wo man wohl eher eine Mode-Messe erwarten würde. Und schon ist das zarte Pflänzchen, das sich in Berlin gerade zu wachsen anschickte, gleich wieder vertrocknet. Ich kann das nur staunend und mit Kopfschütteln beobachten. Merkt denn niemand, was hier gerade passiert? Die Pro-Audio-Society hat keine Messeheimat mehr, obwohl sie dringend eine brauchen würde. Wer mir mit dem Argument kommen möchte, die große Zeit erfolgreicher Messen sei vorbei, der möge seinen Blick gen Amsterdam richten, wo alljährlich die IBC und die ISE vor Wachstum fast platzen und Ausstellungsfläche wie an der Börse gehandelt wird.

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