Das Ende des Geschreis?

Uns ist allen bewusst, dass der Tonträger im Music Business kein bestimmender Faktor mehr sein kann, auch wenn die schwarze Scheibe gerade eine kleine Renaissance erlebt, die wie die herbeigesehnte Rückkehr der guten, alten Zeiten gefeiert wird. Man könnte fast glauben, Helene Fischer verkauft als einzige in Deutschland noch CDs – und Downloads haben ihre beste Zeit bereits hinter sich, bevor sie überhaupt richtig beginnen konnte. Streaming ist der neue Deal, wobei dieser Begriff für die Künstler derzeit noch nicht auf die monetäre Ebene zu übertragen ist. Dementsprechend wächst auch die Bedeutung der Nachrichten, die rund um Streaming-Dienste an die Äffentlichkeit gelangen. Wie ich jetzt nachlesen konnte, setzt Spotify gerade seinen Loudness-Referenzpegel von rund -11 auf rund -14 LUFS (integrated) herunter und passt sich damit dem Loudness-Niveau anderer Mitbewerber wie YouTube und Tidal an. Das entspricht zwar immer noch nicht den Empfehlungen für Streaming-Loudness der Audio Engineering Society (-16 LUFS, -1 dBTP), denen zum Beispiel Apple folgt, doch müssen wir uns tatsächlich darüber freuen, dass Streaming-Dienste heute den Ton für Produktions- und Mastering-Studios in Sachen Loudness angeben. Wir alle haben uns gewünscht, dynamischer produzieren und mastern zu können, ohne den im Nachhinein schwer nachzuvollziehenden Druck des Marktes und die leidige Diskussion mit dem Kunden, der sich stets im Wettrennen um die lauteste Produktion wähnte. Was wir auf Tonträgerebene nicht geschafft haben, wird nun ausgerechnet von Streaming-Diensten umgesetzt, die für den Niedergang des Tonträgers und auch des Downloads, also das mangelnde Interesse am Kaufen von Musik, zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich sind. Die drei dB, von denen wir hier sprechen, zwangen die Musiker und Produzenten bisher, auf einen höheren Loudness-Level zu schielen, um auf Spotify ‚wettbewerbsfähig‘ zu sein, selbst wenn das für den jeweiligen Musikstil unpassend oder gar schädlich war. Jetzt sind wir in der glücklichen Lage, vergleichbare Loudness-Richtlinien für alle bekannten Streaming-Services anzuwenden. Das ist ein großer Schritt, spart Arbeit und vor allem: beschert uns (hoffentlich) besser klingende, dynamischere Musik auf breiter Front. Der Wettlauf um den lautesten Song ist damit nicht beendet, aber auf eine andere Ebene verlagert. Die Loudness-Normalisierung der Streaming-Dienste fordert uns nun heraus, den ‚Loudness-Sweetspot‘ zu finden, also den ‚optimalen‘ Unterschied zwischen Peaklevel und Short-Term beziehungsweise Integrated Loudness. Wer diesen Sweetspot trifft, hat gute Aussichten, ‚besser‘ als hyperkomprimierte Master zu klingen, die auf der Wiedergabeseite deutlich herunternormalisiert werden, damit der Musikhörer einen durchgängig gleichmäßigen Loudness-Eindruck genießen kann. Alles, was in der Vergangenheit mit maximaler Loudness produziert wurde, wird nun auf Spotify noch kleiner, leiser und hässlicher werden. Mit diesem Vermächtnis aus der Vergangenheit werden wir leben müssen. Für uns alle eröffnet sich jetzt aber eine große Chance, die Qualität von Musikproduktionen zukünftig wieder auf ein höheres Niveau zu heben und durch mehr Dynamik konkurrenzfähiger zu werden. ‚Laut sein‘ heißt jetzt, dynamischer zu mischen und zu mastern. Wie dynamisch, ist tatsächlich eine Frage der Neuorientierung, des Verlassens eingetretener Pfade, einer reformierten Art des Hörens und der Abstimmung mit empfohlenen Messwerten, also der Beschäftigung damit, wie Streaming-Plattformen Loudness normalisieren. Spotify ist für seine Entscheidung zu loben, egal wie man zum Thema ‚Streaming‘ stehen mag. Es wird kein Zurück mehr geben. Die Diskussion darüber, wie man zukünftig mit Musik und deren Produktion seinen Lebensunterhalt verdienen kann, muss an anderer Stelle geführt werden.

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