Alles sinnlos, oder?
Es fing schon in den 90er Jahren an: Grundgütiger, die großen Studios sterben, die technisch ahnungslosen Homerecorder nehmen den Profis die Jobs und die Luft zum Atmen weg. Was damals als Homerecording bezeichnet wurde, bewegte sich preislich auf einem Niveau, das man nach heutigen Maßstäben für kaum mehr vorstellbar halten würde. Ich bitte Sie, eine semiprofessionelle 24-Spur-Maschine von Tascam oder Fostex kostete fünfstellig, dafür richtet man sich heute eine sehr schöne In-The-Box-Regie mit allem Zipp und Zapp ein. Überhaupt, der Computer, er hat die Analogtechnik getötet, die meterlangen Konsolen mit tausend Knöpfen und Lämpchen, an denen noch echte Helden saßen. Die Bandmaschinen, wahre mechanische Wunderwerke und gleichzeitig unverwüstliche Arbeitstiere, gehören heute zur Gourmetausstattung von Studios, die sich den Luxus des Besonderen leisten wollen, meistens aber trotzdem im Rechner aufnehmen. Der Tonträger ist tot, die Musiker verdienen kein Geld mehr, Konzertticketpreise schießen gleichzeitig durch die Decke (heute noch im Radio gehört: 230 Euro für ein U2 Konzert, pro Person wohlgemerkt), wenige Mietstudios halten sich noch gerade so über Wasser, die Preise für Audio-Dienstleistungen aller Art sind sowieso im Keller, und zum Teil noch ein Geschoss tiefer. Wie soll das nur weitergehen? Raumakustische Deckenmodule mit ‚Suizid-Ausstattung‘ sind da sicher keine Lösung. Und nun sehen wir uns einmal den Markt genauer an: Es entstehen aktuell und auch schon über viele Jahre beständig überall neue Tonstudios und die Industrie beschwert sich zumindest nicht öffentlich über schrumpfende Absatzzahlen. Gerade hochpreisige, analoge Boutique-Geräte stehen besonders hoch im Kurs. Seit Jahren frage ich mich schon, wer eigentlich diese ganzen Marken und Produkte kauft, die ständig mit wachsender Tendenz in allen Preisklassen auf den Markt drängen, bekomme aber keine Antwort. Von wem auch? Wie es auch sei, der Markt brummt ziemlich gesund vor sich hin, aber diejenigen, die den Markt repräsentieren, beklagen sich über die schlechte Einnahmesituation und den mangelnden Respekt vor solider Ausbildung und jahrelanger Erfahrung. Was kann man da machen? Es ist nun einmal, wie es ist. Die Zeit kann und will niemand zurückdrehen. Eine Weile werden wir uns noch mit Diskussionen darüber beschäftigen, ob die digitale Emulation wirklich exakt dem analogen Original entspricht, aber die Lust darauf wird nach und nach verschwinden. Es ist einfach wahnsinnig praktisch (und extrem kreativ), in einer vollständig speicherbaren Arbeitsumgebung Ideen zu entwickeln und unterschiedliche Lösungswege parallel im Zugriff zu behalten. Die Gedankenmuster in den goldenen Analogzeiten waren sicher nicht weniger kreativ, aber eben in ganz anderer Weise, denn man musste prinzipiell mit einem Mangel umgehen und mit begrenzten Mitteln zu einem Ergebnis kommen. Wischen wir uns einmal den ganzen Schlaf aus vergangenen Epochen aus den Augen und schauen uns an, was wir haben: Nahezu unbegrenzte technische Möglichkeiten, zu Preisen, die jede Schmerzgrenze unterschreiten. Die Konkurrenz wird größer, da sich Studiotechnik jeder leisten kann und scheinbar auch mehr Talent nach oben gespült wird, als wir gedacht hatten. Die gemütlichen Zeiten im Studio in einem ‚geschützten Wirtschaftsraum‘ arbeiten zu können, sind vorbei und kommen auch nicht wieder. Das Karussell dreht sich schneller, die Ideen sprudeln höher, die medialen Darstellungsmöglichkeiten wachsen und das Berufsbild des reinen Toningenieurs wird wahrscheinlich verschwinden, denn er passt nicht mehr in die modernen Strukturen des Produktionsprozesses und sein Talent ist vielleicht sogar zu einseitig, es sei denn, es geht um sehr komplexe technische Aufgaben, die selbst für den Typus des neuen Universaltalentes zu undurchschaubar sind. Die Karten werden allerdings gerade neu gemischt, so oder so...