Akustikspray

Ich hoffe, Sie haben den 1. April ohne größere Schäden überstanden und niemand hat Sie aus Jux zu einem Gesprächstermin nach London gelockt oder Ihnen unter den Augen amüsanter Damengesellschaft im Foyer des örtlichen Opernhauses die berühmt-berüchtigte Frage nach dem offenen Hosenstall gestellt (nach der Laufmasche oder herausgerutschten Körperteilen im Kreise distinguierter Herren). Dennoch möchte ich es mir nicht nehmen lassen, auf ‚meiner' Seite etwas Unsinn zum Tage vom Stapel zu lassen. Ich beginne allerdings zunächst mit einer wahren Begebenheit. Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, dass viele Leser in der Redaktion anrufen, um mir zum Teil wirklich existenzielle Fragen zu stellen, etwa nach dem richtigen Mischpult für die Video-Tonnachbearbeitung, nach der Vorgehensweise zum Erlangen einer Dolby-Lizenz oder danach, ob jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, ins DVD-Mastering zu investieren.

Vor ein oder zwei Jahren hatte ich einen verzweifelten Mann an der Strippe, der über massive Abhörprobleme in seinem Regieraum klagte und von mir wissen wollte, wie man für 2.000 Mark eine vernünftige akustische Umgebung schaffen könne, denn mehr Geld stünde ihm dazu nicht zur Verfügung. Da mir sein Ansinnen äußerst realitätsfremd erschien, wollte ich zur Gesprächsauflockerung einen kleinen Scherz machen, um ihm die Unsinnigkeit seiner Absichten zu verdeutlichen und empfahl ihm freundlich in den Hörer grinsend den Kauf einer Palette Akustikspray. Die Reaktion war nicht etwa schallendes Gelächter, sondern die aufgeregte Frage, wie das denn wohl funktioniere und wo man Akustikspray kaufen könne. Also erklärte ich ihm zunächst, nur mit Mühe die Fassung bewahrend, wie Akustikspray arbeitet: Man sprühe den Raum kurz vor der Mischung ein, in etwa so, wie man Raumduftspray benutzt, woraufhin sich feine Absorptionspartikelchen in der Luft gleichmäßig verteilten und der Raum für etwa eine Stunde in Ordnung sei. Da sich die Partikel nach einer gewissen Zeit wieder am Boden absetzten, müsse man vorbeugend bis zum Ende der Mischung etwa alle dreiviertel Stunde nachsprühen... Und Sie werden es nicht für möglich halten, der Mann hat es geglaubt und wollte sofort die Vertriebsadresse von mir haben. Natürlich habe ich ihn, allerdings ziemlich irritiert, darüber aufgeklärt, dass es ein solches Erzeugnis nicht gäbe, und ich ihm nur verdeutlichen wollte, dass man für 2.000 Mark keine Regieraumakustik bauen kann. So richtig lachen konnte er darüber allerdings nicht.

Ich kann mich noch an ein Editorial zum 1. April erinnern, in dem ich von einem neuen Aufzeichnungsverfahren, ich glaube auf Neutronenbasis sprach, woraufhin sich eine technische Universität meldete, die in den Gelben Seiten nach dem meiner Fantasie entsprungenen Firmennamen suchte, um Kontakt mit dem Unternehmen aufzunehmen. Es ist schon fast erschreckend, wie mächtig das gedruckte Wort bisweilen ist und ich schließe zunächst einmal daraus, dass ich Ihnen den größten Blödsinn erzählen könnte und Sie ihn glauben würden. Machen wir doch mal einen Test: Die Firma Applied Sciences aus Fremont, Kalifornien, hat mit dem ‚Metalizer' ein neues Gerät auf den Markt gebracht, dass in der Lage ist, das harsche Klangverhalten von 14-Bit-Wandlern aus den Anfangstagen der Digitaltechnik und den brettharten, eckigen Sound eines frühen SSL E-Series-EQs zu simulieren. Ich bin sicher, auch für dieses Gerät würde sich noch der eine oder andere Käufer finden lassen. Oder wie wäre es zum Beispiel mit ‚Reflection Ex' einem Analysator/Prozessor, der störende Reflexionen in Regieräumen erkennt und auf digitalem Wege (digital ist immer gut...) unter Anwendung eines komplexen Softwarealgorithmus eliminiert. Das integrierte SWG-Modul (Standing Waves Goodbye) separiert und beseitigt stehende Wellen in beliebigen Räumen. Da viele Studios massenhaft Probleme mit ihrer Akustik haben, wäre diese Erfindung sicher der Kassenschlager des Jahres. Und geben Sie es zu: Es ist schon ein gutes Gefühl, zu glauben, dass es so etwas wirklich geben könnte. Es sollen ja mitunter auch schon Tests von Geräten in Fachmagazinen erschienen sein, die definitiv das ‚Außen-Hui-Innen-Pfui Stadium noch nicht verlassen hatten, mit einer ausführlichen Bewertung der klanglichen Eigenschaften und technischen Daten durch den verantwortlichen Redakteur. Ich bin hundertprozentig sicher, dass es sich hierbei nur um eine April-Ausgabe gehandelt haben kann. Ein real existierendes Produkt ist übrigens die B4 Software von Native Instruments, die eine B3-Hammond mit Leslie so echt emuliert, dass ich es selbst kaum glauben konnte – und das für einen Listenpreis von 365 Mark inklusive Mehrwertsteuer. Nun ja, ich kann Ihnen zusammenfassend nur dringend dazu raten, nicht allen Inhalten zu glauben, die Ihnen auf bedrucktem Papier präsentiert werden, es sei denn, es handelt sich um Seiten des Studio Magazins...

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